Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
zugeben, dass ihm selbst kein besserer Name einfiel. Er musste ein Brainstorming machen, aber er hatte keine Zeit. Seine nächste Talkshow musste vorbereitet werden, „Warum versagen die meisten Frauen beim Anmalen ihrer Lippen?“, Heiner Geißler hatte schon zugesagt, mit Helmut Schmidt, der frisch liiert war, wurde verhandelt.
Marxer stieg aus. Keine Presse nirgends? Er lugte in sämtliche sichtbaren Ecken. Schade. Der Existentialistenfummel stand ihm gut. Munter marschierte er los – und blieb abrupt stehen. Schnell hinter den Porsche. Denn das war sie. Oxana. Atemberaubend, so wie Chiara, nur eine Klasse besser, also zwei Klassen besser als Angelina Jolie. Trug sie überhaupt etwas? Ja, schon, aber man konnte es vor lauter Nacktheit kaum erkennen. Es raubte ihm für Minuten den Atem. Sie ging in die „Bauernschenke“ und Marxer wusste, was ihn dort erwarten würde. Er freute sich darauf. Seine masochistische Ader.
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Atemberaubend. Natürlich bewunderten wir lediglich die hohe Qualität von Oxanas Beinahe-Kleidung. Wir waren ehrliche Stoffsucher und ganz traurig, wenn wir ihn zwischen den Hautmeeren fanden. Wir. Männer. Frauen. Wir waren ganz still geworden, Oxanas Pfennigabsätze die einzigen Geräusche. „Ganz nett siehst aus“, produzierte Irmi die größte Untertreibung seit Kolumbus das neu entdeckte Amerika „ein Häuflein unbedeutender Inselchen“ genannt hatte. Oxana setzte sich. Der Stuhl – männlich – erlitt einen schweren Orgasmus.
„Marxer kommt auch gleich“, verkündete Oxana, „er ist hinter so einem Volksferrari in Deckung gegangen, als er mich gesehen hat. So ein roter Porsche halt. Was sollen wir mit ihm anstellen? Vierteilen?“ Das wurde kollektiv abgelehnt, da die Vorstellung, Marxer könne sich dadurch vervierfachen, allgemeinen Schrecken auslöste. „Das ist bei dem möglich“, explizierte Irmi, „der braucht ja kein Gehirn zum Leben, da können die Beine auch unabhängig vom Restkörper existieren.“ Interessant. Während wir auf das Erscheinen des Dichters warteten, orderte Oxana Wodka für alle. Der Befrackte zog eine Augenbraue nach oben und bedauerte, man führe nur Vodka, das sei aber so etwas Ähnliches. Oxana ächzte. „Seit Hermine den Laden hier übernommen hat, ist er ein Fall für die Comedy. Wie stehts eigentlich mit dir und Hermine?“ Sah mich an und wollte eine Antwort.
Ich schüttelte nur traurig den Kopf. „Oh je“, sagte Oxana. „Aber mach dir nix draus. Du bist inzwischen eine Berühmtheit, wenn du willst, stelle ich dich einigen publicitygeilen Mädels vor.“ Warum schaute Gritli Moser jetzt so finster ins Dekolleté der Kasachin? Die bemerkte es und machte „oops“. Sagte dann: „Wo Marxer nur bleibt. Hat der wirklich so Schiss vor mir?“
Um die Wartezeit bis zum Auftritt Marxers zu überbrücken, erzählte Gritli Moser vom letzten Stand der Dinge. Eduard Schick war noch immer wie vom Erdboden verschluckt, kein Arzt in der Klinik hatte ihn behandelt, keine Krankenschwester ihm jemals den Puls gefühlt. Ein Phantom also. Oxana betrachtete mich besorgt. „Und du bist sicher, dass du nicht geträumt hast? Ich meine… könnte doch vorkommen, ist doch die Volkskrankheit Nummer eins heutzutage. Ganz Deutschland träumt von Goldmedaillen, Frau Merkel träumt von der ökonomischen Weltherrschaft, die CSU träumt von der absoluten Mehrheit und Herr Sarrazin träumt von Einwanderern, die Schwarzbraun ist die Haselnuss pfeifen können.“ Hm. Je mehr ich darüber nachdachte, desto weniger glaubte ich, jener mysteriöse Herr Schick habe jemals existiert.
Dieses unangenehme Intermezzo wurde beendet, als die sich die Tür der „Bauernschenke“ auftat – und eine sehr stark geschminkte Frau den Raum betrat, eine Frau, die wider Erwarten nicht der Dichter Konstantin Marxer war. Sie hielt sich nicht lange mit Formalitäten auf, sondern kreischte mit unangenehmer Stimme: „Leander? Ist das dein Porsche da draußen? Da liegt ein Penner daneben und schläft seinen Rausch aus. Ich habs mal schnell gefilmt und bei Youtube hochgeladen. Hast doch nichts dagegen, oder?“
Bevor Leander antworten konnte, waren Oxana und Gritli aufgesprungen. Ein roter Porsche. Ein Penner. Das konnte nur Marxer sein.
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Das hatte ich nicht gewollt. Marxer tot zu sehen war etwas anderes als ihn nun wirklich am Boden liegend zu sehen, ganz offensichtlich in einer gewaltigen Blutlache, deren Rot dem des Porsche Konkurrenz machte. Fiktion und
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