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Die Einsamkeit des Chamäleons

Die Einsamkeit des Chamäleons

Titel: Die Einsamkeit des Chamäleons Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Holland Moritz
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Rebekka herausfordernd an.
    Rebekka stellte die Frage, die ihr die ganze Zeit unter den Nägeln brannte, auch wenn sie damit das Minenfeld von Ulrikes Kindheit für ein anderes verließ.
    Â»Hast du von den Todesfällen in der Firma gewusst?«
    Â»Klar!«, entgegnete Ulrike selbstsicher. Die anderen drei schauten Rebekka an, als warte jeder von ihnen auf den nächsten Satz und darauf, wohin sich das Zünglein an der Waage bewege.
    Â»Ich habe den Mord an meinem Vater in die Todesserie eingebaut und damit zwei Fliegen mit einer Klappe erschlagen.«
    Erwartungsvoll schaute sie Rebekka an.
    Â»Mein Vater ist von dieser Erde getilgt, und die Mordserie in der Firma fand ihr Ende.«
    Â»Was hast du getan, Ulrike?«
    Â»Ich habe dir erzählt, dass ich alten Leuten den Po abgewischt habe? Dass ich auch mal Pflegerin war?«
    Â»Ja. Hast du.«
    Â»Die alten Leute und ihre Krankengeschichten haben mich auf die Idee gebracht. Hast du schon einmal etwas gehört von …«
    Rebekka konnte keine Regung zeigen. Selbst wenn sie es gewollt hätte – in ihrem Gesicht tat sich nichts. Rein gar nichts.
    Â»Lobotomie?«
    Â»Nein, habe ich nicht. Du wirst es mir erklären.«
    Â»Eine Form der Psychochirurgie. An der Stelle, an welcher der Nagel in das Gehirn meines Vaters eindrang, zerschmetterte er sämtliche Fantasie, stumpfte Gefühle ab, vernichtete abstraktes Denken und ließ ein roboterähnliches, kontrollierbares Individuum zurück. Zu seinem Glück, das hat ihn ja bis zum Schluss nicht verlassen, schlug mein Vater mit dem Hinterkopf auf der Werkbank auf. Zusammen mit seiner Hirnwunde war somit genug Schaden angerichtet. Er war schon tot, als ich den Nagel wieder rauszog.«
    Rebekka stand auf. Sie konnte sich kaum auf den Beinen halten, ihr Kreislauf machte ihr zu schaffen. Achim stützte sie und hielt sie dabei fest im Arm. Nun gehörte sie auch optisch in diesen Kreis aus Verschwörern, kam es Rebekka in den Sinn, und sie machte sich los.
    Â»Warum erzählt ihr mir das?«
    Sie meinte alle vier damit, denn alle hatten die Chance von Ulrikes Geständnis für ihre eigene Absolution genutzt.
    Doch sie überließen auch weiterhin Ulrike das Wort.
    Â»Weil du jetzt zu uns gehörst. Du hast ihn ein zweites Mal gesühnt, diesen Missbrauch über Jahre und auch den Tod unserer Mutter, die sich vor Scham erhängt hat.«
    Ulrike hob ihr Glas, die anderen taten es ihr gleich.
    Â»Und das, liebe Rebekka, werde ich dir nie vergessen.«
    Rebekka atmete tief durch. Sie richtete sich innerlich auf, stellte ihr Glas zur Seite, und schaute jedem Einzelnen noch einmal lange ins Gesicht. Nils. Achim. Jörn. Ulrike. Keiner verzog eine Miene. Alle schauten gleich ernst, und keinem war mehr nach Lachen zumute.
    Â»Lebt wohl«, sagte Rebekka. »Zu euch gehöre ich nicht und habe ich niemals gehört.«
    Wieder eine der seltenen Wahrheiten in Rebekka Schombergs Leben, und sie ging ihr runter wie Öl.

EPILOG
    In ihrem Zimmer im Vico House schaltete Rebekka ihren Laptop ein. Beim Blick auf das E-Mail-Postfach schlug ihr Herz höher, und die kleine innere Uhr mit dem Zeitzünder lief schneller.
    Sie hatte Google -Alerts für alles im Zusammenhang mit den Namen Swetlana Taubman und Mathieu Ceva abonniert und nun eine Nachricht zum Thema erhalten. Der Link führte sie zu einem Fernsehmitschnitt einer Nachmittagssendung des französischen Fernsehsenders TF1 vom April 1992.
    Die Sendung war an Banalität nicht zu übertreffen. Die Sequenz lediglich drei Minuten und elf Sekunden lang. Perchavanne hing gelangweilt wie ein ungeladener Gast im Polstermöbel seiner eigenen Show. Mathieu tänzelte vor ihm herum und schien sich der Lächerlichkeit des Ganzen nicht bewusst zu sein. Er war nicht als Tänzer gebucht worden, sondern lediglich als farbiger Körper, der sich zur besten Nachmittagsstunde der Fantasie bügelnder Hausfrauen anbieten sollte. Die nutzten den kleinen Ausflug ihrer Gedanken, dieser zügellosen Monster, voller Verheißung eines anderen, eines ebenso möglichen Lebens, das sie jederzeit beginnen könnten und doch nie haben würden. Die Hausfrauen entsprachen dem Bild, das die Fernsehmacher von einfach gestrickten Gemütern hatten. Sie erfreuten sich tatsächlich an Kochrezepten, Gymnastikübungen, der Sterndeutung mit Frau Luna und – dem tanzenden Mathieu, der voraussehbar schnell

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