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Die einzige Blume im Sumpf - Geschichten aus Ägypten

Die einzige Blume im Sumpf - Geschichten aus Ägypten

Titel: Die einzige Blume im Sumpf - Geschichten aus Ägypten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenos Verlag
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Amschîr 3 , forderte er sie auf, sich bei der Arbeit anzustrengen und sich tüchtig dranzuhalten, denn das hiesse, die gute Zeit hätte begonnen und die Prüfungen der Studenten stünden vor der Tür. Dann bleiben sie nämlich immer häufiger stehen und wollen sehen, was das Schicksal mit ihnen vorhat.
    Sie weinte herzzerreissend. Sie spürte, dass Unser Herr sich an ihr rächte, weil sie ein wenig von den Einkünften abgezweigt hatte. Ja, während der vergangenen paar Tage hatte sie jedesmal ein Viertelpfund von dem Geld für sich selbst weggesteckt und Onkel Hassan nichts davon erzählt. Aber dieser Gedanke verflog sehr schnell wieder, als sie sich daranerinnerte, wie knausrig seine Hand ist und wie er ihr die Groschen nur tropfenweise gibt, obwohl sie ja den ganzen Tag dastehen muss. Am Ende des Tages gibt er ihr dann fünfzig Groschen, obwohl sie ihm doch seine Bitten nie abschlägt, wenn sie spät in der Nacht zurückkommt, und für ihn wäscht und kocht und ihn mit eigener Hand füttert, nun da seine Hand zittrig und er sehr schwach geworden ist. Ausserdem erträgt sie das Gerede der Frauen überall im Haus, die sich darüber das Maul zerreissen, dass sie bei ihm ein und aus geht. Sie schweigt dazu, denn jetzt mit Onkel Hassan hat sie es tausendmal besser als früher, als sie mit Kaugummi und Kämmen in Omnibussen und Strassenbahnen herumzog. Wenigstens hat sie jetzt mit der Maus einen festen Platz und muss nicht mehr irgendwelche schmutzigen Bemerkungen vom Schaffner oder vom Fahrer mitanhören, die andauernd ihren Körper vergifteten; und sie ist auch nicht mehr den ganzen Tag über Schimpf und Schande ausgesetzt.
    In ihrem Kopf brodelte es, während sie immer weiter nach Hause lief. Ihre Schmerzen schienen grenzenlos. Und wäre sie in diesem Augenblick dem Verschwundenen, ihrem Ehemann, begegnet, sie hätte ihn in Stücke gerissen und Hackfleisch aus ihm gemacht. Er ist ja schuld an diesem ganzen Elend, in dem sie leben muss, seit er sie verlassen hat und verschwunden ist. Er hat sie ja auch von ihrer Familie getrennt, nachdem er sie in ihrem Dorf vor langen Jahren geheiratet und sie dann an diesen Ort gebracht hat, wo alles durcheinandergeht und wo es keinen gibt, der bereit und willens wäre, seinen Blick zu heben und einem, der auf der Strasse an ihm vorübergeht, in die Augen zu schauen. IhreMutter ist ja schon vor einiger Zeit gestorben, und ihrem Ehemann würde es nicht im Traum einfallen, sich nach ihr zu erkundigen. Er hat sie immer ebenso gehasst wie sie ihn. Und nun wird sie Onkel Hassan, der immer lieb zu ihr war und der das einzige ist, was sie auf der Welt hat, für immer verlieren – in dem Augenblick, wenn sie nach Hause kommt und ihm mitteilt, sie hätte seine Existenzgrundlage verloren, sie hätte die Regierung ihr die Maus wegnehmen lassen. Und vielleicht würde er ihr das ja noch nicht einmal glauben, wenn sie beim Grab ihrer Mutter schwört, dass die Maus der Regierung davongelaufen ist und der Soldat sie nicht mehr gefunden hat. Ihr Elend ist, dass sie allerhand Hoffnungen auf Onkel Hassan gesetzt und deshalb sein Kommando in Kauf genommen hat. Vielen seiner Wünsche hat sie sich gefügt, obwohl sie innerlich kochte. Aber immer träumte sie eben davon, dass er eines Tages so freundlich und einsichtig wäre, zu sagen: »Wenn ich einmal nicht mehr bin, Husnîja, gutes Mädchen, kannst du alles haben, was ich besitze. Ich hab ja keine Angehörigen. Nimm dich der Sachen an! Du hast mehr Anrecht als irgendein Geschöpf sonst auf der Welt auf die Matratze, die Decke, den Stuhl und die paar anderen Sachen; denn du bist wirklich ein gutes Mädchen. Du hast mich ertragen und bist in meinen Diensten geblieben, wie wenn du meine Tochter wärst, mein eigen Fleisch und Blut. Und die zwei Groschen in der Tasche der Galabija kannst du dir nehmen, und kauf dir dafür eine hübsche Galabija und ein neues Nylonnachthemd.«
    Beim Gedanken an all das flossen ihre Tränen noch mehr. Voll Bitterkeit kaute sie an ihrer Lippe, während sie sich der Haustür näherte und sich den Anfang, die ersten Worte desGesprächs mit Onkel Hassan ausdachte und sich sein Gesicht vorstellte, wenn er es erfährt – und wütend wird und sich total verändert und schreit: »Verschwinde aus meinen Augen, du Unglücksweib, Elende! Du Diebin, du Unglücksrabe! Dein Mann hat sich zu Recht abgesetzt – deine Art bringt Unglück ins Haus.«
    Sie hatte den Hof des Hauses erreicht und weinte immer heftiger. Vor Onkel Hassans

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