Die Eistoten: Thriller (German Edition)
Plan war ein dumpfer Instinkt.«
»Kein Mord geschieht ohne Grund. Und bei einem Hochbegabten wie Stephan Lehmko hat die Art und Weise der Tat etwas mit seinem Motiv zu tun. Es war kein Zufall, dass die erfrorenen Opfer alle in derselben Position gefunden wurden. Es ist dieselbe Haltung wie auch auf den Familienfotos in Lehmkos Haus.«
»Das ist mir zu abgedreht«, sagte Alices Vater und schüttelte den Kopf. »Ich hoffe nur, dass wir ihn bald finden.«
»Nichts für einen logisch denkenden Menschen«, fügte Engehardt hinzu.
»Man kann verrückt sein und trotzdem logisch denken«, sagte Alice.
Du bist ja das beste Beispiel, Alice. Zu dir spricht Wittgenstein, ein Philosoph, der seit über 60 Jahren tot ist. Und du hast Aristoteles am Skilift gesehen … Ihre Wahrheit wird deswegen nicht falscher.
»Innerhalb seiner Welt«, setzte Alice fort, »ist Stephan Lehmkos Denken logisch. Amalia hat nicht viel gesagt, als ich sie gefunden habe. Nur einen Satz: ›Er sagte, dass ich jetzt zur Familie gehöre …‹ Stephan Lehmko hat getötet, um eine Familie aufzustellen, wie er sie auf den Ahnenfotos seines Vaters gesehen hatte. Stephan wuchs ohne Mutter und Großeltern auf. Da war nur sein Vater und eine Ahnengalerie.«
»Wenn der Journalist Mulder recht hat, dann mordete Stephan schon seit zehn Jahren, um sich wie ein Kind eine Art Puppenstube einzurichten.«
»Deshalb hat er alle Mädchen erst betäubt, um sie dann seelenruhig in die Position zu bringen, wie er sie von den Familienfotos kannte. Die Ahnenfotos waren für ihn eine Art Mausoleum, das er nachbaute.«
»Wir wissen nicht viel über die Lehmkos. Am wenigsten wissen wir über die Mutter Stephans. Bis auf den Unfallbericht, den ich endlich aus der Zentrale habe. Sie starb durch einen Unfall. In der Nacht vom 23. auf den 24. Dezember.«
»Er hat seine Opfer alle am 23. getötet.«
»Es war ein Unfall mit Fahrerflucht«, fügte der Kommissar hinzu. »Nach dem Polizeibericht wurde sie von einem Wagen erfasst und zu Boden geschleudert. Sie hätte den Unfall überlebt, wenn der Fahrer angehalten hätte. Doch blieb Stephans Mutter in dieser Nacht im Straßengraben liegen und erfror.«
»Es ist so, als wollte er den Tod seiner Mutter jedes Jahr neu inszenieren«, sagte Alice. »Er wird nicht damit aufhören.«
»Wenn wir ihn nicht vorher finden«, sagte ihr Vater.
»Für Stephan nehmen die Toten seiner Familie alle die Haltung ein, die man auf den Familienporträts sieht.«
»Aber nicht jeder, der einen Menschen so tragisch verliert, wird zum Psychopathen«, sagte Engelhardt. »Stephan Lehmko tötete Mädchen. Und sein Vater beseitigte Zeugen und all diejenigen,die der Wahrheit zu nahe kamen. Ich frage mich nur, warum sie nicht versucht haben, herauszufinden, wer Stephans Mutter in jener Nacht im Straßengraben hatte sterben lassen.«
»Vielleicht haben sie es gewusst«, fügte Alice hinzu.
»Und nichts unternommen?«
Alice lehnte sich gegen eine Wand.
»Bis wir ihn gefasst haben, gehst du nicht mehr alleine aus dem Haus«, sagte ihr Vater, doch Alice war mit ihren Gedanken bereits woanders. Zurück in jener Nacht, in der das Böse nach Hintereck gekommen war. Dann sah sie zu Engelhardt, der sich am Kopf kratzte.
»Stephan Lehmko und sein Vater hatten einen Plan … Stephan hatte ein Jahr nach dem Tod seiner Mutter seinen ersten Mord begangen. Vielleicht war er vorher ein ganz normaler Junge. Ich hatte bisher aber nicht verstanden, warum Georg Zugl so überzeugt war, dass seine Tochter ermordet worden war, obwohl die Polizei eindeutig von einem Unfall ausging. Was hatte er davon, sein ganzes Hab und Gut in die Aufklärung der Umstände des Todes seiner Tochter zu stecken? Das ergibt doch erst einen Sinn, wenn Georg Zugl wusste, dass seine Tochter nicht durch einen Unfall ums Leben gekommen war. Er wusste es, weil er von einem Racheakt ausging. Er wusste, wer dahintersteckte, konnte es jedoch nicht beweisen. Er wusste, dass entweder Stephan Lehmko oder dessen Vater seine Tochter auf dem Gewissen hatte. Nur beweisen konnte er es nicht. So wie niemand beweisen konnte, dass er Jahre vorher den Wagen gefahren hatte, der die Mutter Stephan Lehmkos in den Straßengraben schleuderte. Die Lehmkos ahnten, was er getan hatte.«
»Wie haben sie es herausgefunden, wenn selbst die Polizei den Unfallflüchtigen nicht ermitteln konnte?«
»Sie wussten es nicht … Sie warteten ab, bis sich einer verriet. Sie töteten und ließen es wie einen Unfall aussehen.
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