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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Reliquie, jeder Papierfetzen eines Handbuchs ein Vers der Heiligen Schrift.
    Doch die gewöhnlichen Raketenteile interessieren Slothrop nicht. Er hält sich raus und spart sich auf für etwas absolut Einzigartiges. Ist es die Schwarzrakete? Ist es die 00000? Enzian sucht sie, und das geheimnisvolle Schwarzgerät. Es besteht eine sehr reale Chance, daß Slothrop, getrieben von seinem Schwarzphänomen, dessen Bedürfnissen er gehorcht, so wenig er sie auch verstehen mag, zu Enzian zurückkehren wird, Zyklus um Zyklus, immer wieder, bis die Mission abgeschlossen, das Material gefunden, das Personal verfrachtet ist. Es ist ein heftiger Verdacht: nichts, was Tschitscherin je niederschreiben würde. In seiner Funktion hier draußen ist er ebenso allein wie Slothrop auch: Er berichtet, wenn überhaupt', dann nur direkt dem Sonderkomitee Malenkows beim Rat der Volkskommissare (die ZA-GI-Arbeit dient mehr oder weniger der Tarnung). Aber Slothrop ist sein Mann. Er wird ihn verfolgen lassen, gar kein Zweifel, und wenn sie die Spur verlieren, dann werden sie sie eben wiederfinden. Ein ewiger Jammer, daß man ihn nicht persönlich motivieren kann, sich diesen Enzian zu kaufen. Doch Tschitscherin ist schwerlich Narr genug zu glauben, daß alle Amerikaner so leicht auszunützen sind wie dieser Major Marvy mit seinen Reflexen in Sachen Schwärze ...
    Wirklich schade. Tschitscherin und Slothrop hätten Haschisch miteinander rauchen und die Erfahrungen mit Geli oder anderen Ruinenmädchen austauschen können. Er hätte dem Amerikaner Lieder vorsingen können, die ihm seine Mutter beigebracht hat, Schlummerlieder aus Kiew mit Sternenschein und Liebespaaren, weißen Blüten, Nachtigallen ...
    "Wenn wir das nächste Mal auf diesen Engländer stoßen", Dschabajew blickt neugierig auf seine Hände am Lenkrad, "oder Amerikaner oder was immer er ist, wirst du dann versuchen, rauszukriegen, wo er diesen Schitt her hat?" "Mach 'ne Notiz", befiehlt Tschitscherin. Beide beginnen, unter ihrer Weide, besinnungslos zu kichern.

[3.10] Greta Erdmann

    Slothrop erwacht in Inseln, die aus dem Schlaf aufsteigen und versinken, bemessene und ruhige Gespräche auf russisch, Hände an seinem Puls, ein breiter grüner Rücken, der gerade den Raum verläßt... Es ist ein weißes Zimmer, ein perfekter Würfel, obwohl er für eine ganze Weile Kuben, Mauern, seine horizontale Lage, nichts, was mit Räumlichkeit zu tun hat, erfassen kann. Nur die Gewißheit, daß man ihm schon wieder dieses Natrium-Amytal gespritzt hat, dieses Gefühl kennt er. Er liegt auf einem Feldbett, noch immer in Rocketman-Montur, der Helm auf dem Fußboden neben dem Schnürbeutel mit Hasch - oh-oh. Obgleich es übermenschlichen Mut erfordert im Angesicht der Zweifel, ob er sich überhaupt bewegen kann, schafft er es, sich über die Kante zu rollen und seinen Stoff zu inspizieren. Eins der Stanniolpakete sieht kleiner aus. Er braucht eine oder zwei bange Stunden, die Umhüllung aufzufummeln, und findet, ja, ganz sicher, einen frischen Anschnitt, roh und grün gegen das schmutzige Braun des großen Klumpens. Draußen steigen Schritte über metallene Stufen hinab, unten fällt eine schwere Tür ins Schloß. Scheiße. Er liegt in dem weißen Würfel, die Beine gekreuzt, Hände unterm Kopf, fühlt sich groggy, hat nicht die geringste Lust, irgendwo hinzugehen ... Er döst weg, träumt von Vögeln, einem dichten Schwarm Schneeammern, zusammengeweht zu einem fallenden Blatt aus Vögeln im dicht fallenden Schnee. Er ist wieder in Berkshire. Slothrop ist klein und hält die Hand seines Vaters. Der Vogelschwarm taumelt, wird vom Sturm hochgestoßen, seitwärts, abwärts, auf seiner Suche nach Futter. "Arme kleine Kerle", sagt Slothrop und fühlt, durch seinen Fäustling hindurch, wie ihm der Vater die Hand drückt. Broderick lächelt. "Denen geht's gut. Ihre Herzen schlagen sehr, sehr rasch. Ihr Blut und ihre Federn halten sie warm. Keine Angst, Sohn, keine Angst..." Slothrop erwacht wieder in das weiße Zimmer. Die Stille. Hebt seinen Arsch und versucht ein paar schwächliche Radfahrübungen mit den Beinen, streckt sich dann wieder aus und klatscht auf frisches Fett, das seinen Bauch besetzt haben muß, während er weggetreten war. Es gibt ein unsichtbares Königreich des Fetts, eine Million Zellen auf der Wanderschaft, und alle kennen ihn genau - sobald er ohne Bewußtsein ist, legen sie los, alle zugleich, quietschen mit furchtbaren spitzen Mickymausstimmchen, hey, Leute! Hey, vorwärts, jetzt

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