Die Enden der Parabel
schickt ihm eine Streife nach, und er überredet den kommandierenden Sergeanten, auf seine Seite überzuwechseln. Gemeinsam fliehen sie über die Grenze, um in der Wildnis zu leben, bei den Indianern.
Das ist Teil I. Sieben Jahre später schrieb Hernandez eine Rückkehr des Martin Fierro, in der der Gaucho seine Ideale verrät: Er paßt sich der christlichen Gesellschaft wieder an und vertauscht seine Freiheit mit einem Leben in dem konstitutionellen Rahmen, den Buenos Aires damals forcierte. Ein sehr moralischer Schluß, aber in völligem Gegensatz zu dem des ersten Teils.
"Was wäre besser", scheint sich von Göll zu fragen, "beide Teile, oder nur den ersten?"
"Tja", beginnt Squalidozzi.
"Ich weiß, was ihr wollt. Aber zwei Filme wären lukrativer-falls der erste ein Kassenerfolg wird. Aber wird er das?" "Selbstverständlich wird er das." "Etwas so Anti-Soziales?"
"Aber es ist alles, woran wir glauben", protestiert Squalidozzi.
"Selbst der freieste der Gauchos muß sich schlußendlich verkaufen. So ist das
Leben nun mal."
So ist jedenfalls Gerhardt von Göll. Graciela kennt den Mann: es gibt Verbindungslinien, finstere Verbindungen des Blutes und der Überwinterung in Punta del Este, durch Anilinas Alemanas, einen I.G.-Ableger in Buenos Aires, und durch die Spottbilligfilm AG in Berlin (auch eine I.G.-Tochter), bei der von Göll stets großzügige Rabatte auf seine Rohfilmkäufe eingeräumt erhalten hatte, vor allem auf die eigentümliche und schwer verkäufliche "Emulsion J", ein von Laszlo Jamf erfundenes Aufnahmematerial, das selbst bei normaler Tageslichtbeleuchtung in der Lage war, die menschliche Haut etwa einen halben Millimeter tief zu durchdringen und das Gesicht knapp unter dem Gesicht der Oberfläche zu enthüllen. In von Gölls unsterblichem Alpdrücken wurde diese Emulsion freigebig verwendet, und vielleicht wird sie auch in Martin Fierro zum Einsatz kommen. Der einzige Teil des Epos, der von Göll wirklich fasziniert, ist ein Gesangsduell zwischen dem weißen Gaucho und dem dunklen El Moreno. Es könnte eine interessante Rahmenepisode abgeben. Mit Emulsion J würde er unter die Hautfarben der Kontrahenten dringen, könnte zwischen J und panchromatischem Material hin und her schneiden, wie ein Wechsel der Schärfenebene, oder Laufblenden dazwischensetzen - wie er Laufblenden liebte! Jede Menge raffinierter Möglichkeiten, zwischen den beiden Ebenen zu springen! Seit er entdeckt hat, daß in der Zone tatsächlich ein Schwarzkommando existiert, lebendige Menschen mit einer wirklichen, parakinematischen Existenz, die nichts mit ihm oder mit dem gefälschten Schwarzkommandostreifen zu tun haben, den er im vergangenen Winter in England für die Operation Schwarzer Flügel drehte, lebt der Springer in einer kontrollierten Ekstase der Megalomanie. Er ist überzeugt davon, daß sein Film diese Leute auf irgendeine Weise zum Leben erweckt hat. "Es ist meine Mission", verkündigt er Squalidozzi mit jener tiefen Demut, über die nur ein Filmregisseur aus Deutschland gebietet, "in die Zone Samenkörner der Realität zu säen. Der historische Augenblick gebietet es, und ich kann nur sein Diener sein. Meine Bilder sind erwählt worden, zu Fleisch zu werden. Was ich für das Schwarzkommando tun konnte, kann ich auch für eure Träume von Pampas und Himmel tun... Ich kann eure Zäune einreißen und die Mauern eures Labyrinths und euch zurückführen in den Garten, dessen ihr euch kaum noch entsinnt... " Sein Wahnsinn hat offensichtlich Squalidozzi angesteckt, der bald darauf auf das Boot zurückkehrte und den Virus weiterverbreitete. Es schien genau das zu sein, worauf sie gewartet hatten. "Afrikaner!" tagträumte der sonst so sachliche Belaustegui bei einer gemeinsamen Besprechung: "Was, wenn es wirklich wahr wäre? Wenn wir tatsächlich dorthin zurückfänden, wo wir standen, bevor die Kontinente auseinanderbrachen?"
"Zurück nach Gondwanaland", flüsterte Felipe. "Als der Rio de la Plata vor der Haustür von Südwestafrika lag ... als die Flüchtlinge des Mesozoikums nicht die Fähre nach Montevideo nahmen, sondern nach Lüderitzbucht... " Der Plan sieht vor, daß sie sich irgendwie in die Lüneburger Heide durchschlagen und dort eine kleine Estancia aufbauen. Von Göll wird sie dort treffen. Neben der Oerlikon, in dieser sanften Nacht, lehnt Graciela Imago Portales und träumt. Ist von Göll ein Kompromiß, den sie eingehen können? Es gibt schlechtere Fundamente als einen Film. Haben Fürst Potjomkins
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