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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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damit sagen, daß ich nicht zurückkommen werde. Daher wollte ich mich von euch allen verabschieden und euch wissen lassen, daß für euch gesorgt sein wird." Er hatte seinen Freund Coolidge ("Hot") Short in der State-Street-Kanzlei von Salitieri, Poore, Nash, De Brutus und Short besucht und sich vergewissert, daß die Finanzen der Familie bestens geordnet waren. "Ihr sollt wissen, daß ich euch alle liebe. Ich würde hierbleiben, wenn ich könnte, aber ich muß gehen. Ich hoffe, ihr versteht mich."
    Einer nach dem anderen trat die Familie zu ihm hin, um Abschied zu nehmen. Als das Herzen, Küssen, Händeschütteln abgetan war, ließ sich Bland in die letzte Umarmung seines Sofas zurücksinken und schloß mit einem verschwommenen Lächeln seine Augen ... Nach einer kleinen Weile fühlte er, wie er sich zu erheben begann. Über den genauen Zeitpunkt konnten sich die Umstehenden später nie einig werden. Gegen halb zehn jedenfalls ging Buddy weg, um sich Frankensteins Braut anzusehen, und Mrs. Bland bedeckte das heitere Gesicht mit einem staubigen Stück Chintz, einem alten Geschenk einer Freundin, die ihren Geschmack nie recht getroffen hatte.
    [3.31] Es ist eine einfache Procedur
    Eine windige Nacht. Büchsendeckel von GI-Konserven wehen scheppernd über den Exerzierplatz. Die Wachtposten in ihrer Langeweile üben Queen-Anne-Salutieren. Hin und wieder frischt der Wind zu Böen auf, die die Jeeps auf ihren Federn und selbst die leeren Zweieinhalbtonner und zivilen Schlepper schwanken lassen -Stoßdämpfer stöhnen dumpf, belästigt... in den Spitzen des Windes tanzen lebendige Kiefern, aufgereiht auf dem letzten Zipfel Sand, der direkt in die Nordsee reicht...
    Wie sie da mit festen Schritten, wenn auch ohne Tritt, über die reifenzernarbten Weiten des ehemaligen Krupp-Geländes marschieren, sehen die Doktoren Muffage und Spontoon alles andere als verschwörerisch aus. Man nimmt sie sofort für das, was sie zu sein scheinen: ein winziger Brückenkopf von Londoner Seriosität hier im nächtlichen Cuxhaven-Touristen in dieser halb- zivilisierten Kolonie von Sulfonamiden, vermischt mit sprudelndem Blut, Injektionsnadeln und Aderpressen, süchtigen Medical Officers und sadistischen Sanitätern, einer Kolonie, die ihnen für die Dauer des Krieges, dem Himmel sei Dank, erspart geblieben ist, hatte doch Muffages Bruder eine hohe Position in einem einschlägigen Ministerium inne, während Spontoon sich mit einem merkwürdigen, hysterischen Stigma disqualifizierte, das in der Form eines Pik-As, und fast von gleicher Farbe, in Augenblicken hoher Anspannung auf seiner linken Wange aufzutauchen pflegt und von heftiger Migräne begleitet ist. Noch vor wenigen Monaten fühlten sich die beiden so voll mobilisiert wie jeder andere britische Zivilist, und so den meisten der Regierungsordern gegenüber aufgeschlossen. Über ihre augenblickliche Mission jedoch machen sie sich bereits eigene Friedenszeit-Gedanken. Wie rasch voran doch die Geschichte in diesen Tagen schreitet!
    "Ich kann mir nicht erklären, wieso er ausgerechnet uns gebeten hat", Muffage streicht sich über seinen vollen Knebelbart (eine Geste, die aber nur zwanghaft aussieht), seine Stimme wirkt ein wenig zu melodisch für einen Mann seines Gewichts, "er muß doch wissen, daß ich das schon seit ' 27 nicht mehr gemacht habe!"
    "Ich hab ein paarmal dabei assistiert, während des Praktikums", erinnert sich Spontoon, "das war damals, als es in Irrenhäusern die große Mode war, weißt du noch."
    "Ich kann dir etliche nationale Institutionen nennen, wo's immer noch in Mode ist." Die beiden Medikos tauschen ein verschämtes Kichern aus, voll von dem britischen Weltschmerz, der auf den Gesichtern der Affizierten immer so verlegen aussieht. "Schau, schau, Spontoon, also würdest du mir lieber assistieren? Ist es das?" "Och, so oder so rum. Ich meine, es wird ja kaum irgendein Kerl mit einem Buch danebenstehen, der alles aufschreibt."
    "Da wär ich an deiner Stelle nicht so sicher. Hast du ihm denn nicht zugehört? Ist dir nichts aufgefallen?" "Ganz weg war er."
    "Besessen. Ich frage mich, ob Pointsman nicht langsam seinen Verstand verliert" (das klingt ja hier bemerkenswert nach James Mason, wie er's ausspricht). Sie blicken sich jetzt an, hinter ihren Gesichtern fließen dunkle Nachtbilder von Marston-Bunkern und abgestellten Fahrzeugen vorüber. Der Wind bringt Gerüche von Salzwasser, von Strand, von Benzin. Aus einem fernen Radio klingt das Programm der General Forces mit

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