Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
Vom Netzwerk:
ächzen voll Kummer über die technische Wunde, die durch ihr Gelände geschlagen ist, durch ihre Irdischkeit und Erdigkeit. Braune Forellen huschen im Wasser vorbei. Unter dem Brückenbogen haben andere Zufluchtsuchende auf die feuchte Mauerwölbung gekritzelt. Hol mich, Streckefuß, was hält dich davon ab ? Schlimmeres als diese Tage gibt es nicht. Du wirst sein wie sanfter Schlaf. Ist's denn nicht nur Schlaf? Bitte, komm bald - Schütze Rudolf Effig, 12. IV. 45. Eine Zeichnung, in schwarzer Gesichtstarnfarbe, zeigt einen Mann, der sich zu einer Blume niederbeugt. In der Entfernung, oder einfach kleiner gezeichnet, scheint sich eine Frau zu nähern. Oder eine Art Fee oder etwas Ähnliches. Der Mann schaut sie (oder es) nicht an. Im Mittelgrund liegen Heuhaufen. Die Blume ist wie die Fotze eines jungen Mädchens geformt. Von oben blickt ein fetter Stern auf die Szene herunter, mit einem Gesicht, das vollkommenen Frieden ausstrahlt, wie das des Buddha. Darunter hat jemand, auf englisch, geschrieben: Klasse Zeichnung. Fertigmachen! und etwas tiefer steht, in einer anderen Handschrift, Sie IST fertig, du Flasche. Genau wie du! Daneben, auf deutsch, Ich hob dich geliebt, Liesele, aus ganzem Herzen - kein Name, Dienstgrad, keine Einheit oder Feldpostnummer ... Initialen, Wortergänzungsspiele, die einem verraten, daß sie alleine gespielt worden sind, eine
    Partie Galgenraten, bei der das Lösungswort nie ganz ausgefüllt worden ist: GE_
    RAT_, und der Gehenkte fast ganz am anderen Ende des Durchlasses sichtbar
    wird, selbst zu dieser frühen Tagesstunde, denn die Straße ist schmal und der schräge Einfallswinkel des Lichtes unterquert sie fast schattenlos. Im Unkraut neben der Straße liegt halb verborgen ein Fahrrad. Ein später Schmetterling, bleich wie ein Augenlid, taumelt ziellos über das Grummet hinweg. Hoch auf dem Abhang schwingt jemand eine Axtklinge gegen einen lebenden Baum... und hier sind Ort und Zeitpunkt, da die junge Hexe ihren stählernen Tschitscherin endlich findet... Er sitzt am Ufer des Flusses, nicht niedergeschlagen, auch nicht besonders ruhig, einfach nur wartend. Eine passive Sole-noidspule, die darauf wartet, angesprungen zu werden. Als er ihre Schritte hört, hebt sich sein Kopf, und er sieht sie. Sie ist das erste Wesen, das er seit der vergangenen Nacht angeblickt und tatsächlich gesehen hat. Was ihr Werk ist. Die Zauberformel, die sie um Mitternacht gesprochen hat, während sie den seidenen Zwickel aus ihrer besten Unterhose über die Augen der Puppe band, seine Augen, östlich und schwimmend, obwohl sie sie nur mit ihren langen Fingernägeln in den Lehm geritzt hatte, ging so:
    Möge er blind sein von nun an für alle außer mir. Möge die brennende Sonne der Liebe seine Augen blenden immerdar. Möge diese hier, meine Dunkelheit, ihn behüten. Bei allen heiligen Namen Gottes, bei den Engeln Melchidael, Yahoel, Anafiel und dem großen Metatron, ich beschwöre euch und alle, die mit euch sind, hinzugehen und meinen Willen zu vollstrecken.
    Das Geheimnis liegt im Konzentrieren. Sie hält alles andere von sich fern: den Mond, den Wind in den Wacholdern, die wilden Hunde, die die Nacht durchstreifen. Sie fixiert sich auf die Erinnerung an Tschitscherin, auf seine unberechenbaren Augen, und läßt es langsam wachsen, paßt ihren Orgasmus der Beschwörung an, so daß sie am Ende, bei den letzten Namen der Mächtigen, aufschreit und kommt, ohne ihre Finger zu Hilfe zu nehmen, die sich zum Himmel recken.
    Später bricht sie ein Stück des Zauberbrotes in zwei Hälften und ißt die eine. Die
    andere ist für Tschitscherin bestimmt.
    Er nimmt jetzt das Brot. Der Fluß braust. Ein Vogel singt.
    Als es dunkel wird, liegen die Liebenden nackt auf dem kühlen Grashang, und oben auf der Straße nähert sich ein Konvoi. Tschitscherin zieht seine Hosen an und klettert hinauf, um zu sehen, ob er vielleicht etwas zu essen oder ein paar Zigaretten erbetteln kann. Die schwarzen Gesichter ziehen vorüber, mba-kayere, einige blicken ihn neugierig an, andere sind zu beansprucht von ihrer eigenen Erschöpfung oder von der Bewachung des Wagens, unter dessen Plane sich der Sprengkopf der 00001 verbirgt. Enzian hält auf seinem Motorrad einen Augenblick lang an, mba-kayere, um mit dem zernarbten, unrasierten Weißen zu reden. Sie stehen mitten auf der Brücke. Sie unterhalten sich in gebrochenem Deutsch. Tschitscherin schafft es, dem anderen ein halbes Päckchen amerikanische Zigaretten und drei rohe Kartoffeln

Weitere Kostenlose Bücher