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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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überhaupt nichts mehr mitzureden? es ist, als sähe man das eigene Kind weglaufen, wenn die Geräte so schnell ins Feld rauskommen (den Veld). Aber so isses halt. Ein gebrochnes Herz, die Segenswünsche einer Mutter ... Langsam blenden im Hintergrund die Stimmen des Kinderchors der Hitlerjugend Lübeck auf (sie ziehen jetzt durch die Offizierskasinos in der Zone, unter ihrem neuen Tourneenamen, "The Lederhoseners", sind auch entsprechend angezogen, und wenn die Stimmung danach ist, singen sie mit ihren Kehrseiten zum Publikum, die cleveren kleinen Gesichter über die Schultern zurückgewandt, ein schelmisches Blinzeln für die Militärpersonen:
    Doch schärfer noch als Muttertränen Brennen die Hiebe, die Mutti mir gab ...
    wozu eine vorzüglich koordinierte Wellenbewegung durch die Reihe der Arschbacken marschiert, die so hauteng in ihrem Leder stecken, daß das Zucken jedes einzelnen Muskels zu erkennen ist... man kann Gift drauf nehmen, daß es im ganzen Saal nicht einen einzigen Schwanz gibt, der sich bei diesem Bild nicht rührt, und kaum ein Auge, das nicht die mütterliche Rute zu halluzinieren vermöchte, wie sie auf jeden dieser nackten Ärsche niederzischt, die köstlichen roten Striemen, das strenge und schöne Frauenantlitz, herunterlächelnd durch gesenkte Wimpern, gerade nur ein Lichtschimmer sichtbar an Stelle der Augen - warn es nicht ihre Knöchel, ihre Füße, die du am häufigsten zu sehen bekamst, als du zu krabbeln lerntest - begannen sie nicht, die Brüste als Spender der Kraft zu ersetzen, als du den Duft der Lederschuhe zu erkennen lerntest, den herrscherlichen Geruch, der sich nach oben zog, so weit du sehen konntest - bis zu den Knien, vielleicht, wenn es die Mode deiner Säuglingsjahre wollte, bis auf die Schenkel... warst du nicht Kind vor einem Wesen aus Leder, mit ledernen Füßen, ledernen Beinen?). "Wäre es nicht denkbar", flüstert Thanatz, "daß wir die Klassische Phantasie schon auf den Knien unserer Mutter erlernt haben? Daß irgendwo im Plüschalbum des
    Gehirns, jedes Gehirns, ein Kind im Kleid des kleinen Lord Fauntleroy steckt, eine schöne französische Kammerzofe, die um eine Tracht Prügel bittet?" Ludwig windet seinen ziemlich fetten Arsch unter Thanatzens Hand. Beide haben Perimeter, denen es nicht bestimmt ist, sich zu überschneiden. Doch sie sind hinausgekrochen zu ihrem Stück gemeinsamer Grenze, zu einem kalten Dickicht, in dessen Mitte sie sich eine Lichtung freigehauen haben, um darauf zu liegen. "Ludwig, ein wenig S-und-M hat noch keinem wehgetan. " "Wer sagt das?"
    "Sigmund Freud. Was weiß ich. Aber warum hat man uns beigebracht, mit einem Schamreflex zu reagieren, sobald dieses Thema aufs Tapet kommt? Warum gestattet die Struktur jede andere Form von Sexualverhalten, nur diese eine nicht? Weil Unterwerfung und Dominanz die Rohstoffe sind, die sie für ihr eigenes Überleben braucht. Sie dürfen nicht in privatem Sex verplempert werden. In keiner Art von Sex. Die Struktur braucht unsere Unterwerfung, um an der Macht zu bleiben. Sie braucht unsere Lust an Dominanz, um uns in ihre Machtspiele hineinzu-locken. Aber diese Spiele haben nichts mit Freude zu tun, nur mit Macht. Eins sag ich dir, wenn S-und-M allgemein eingeführt werden könnte, auf der Ebene der Familie, dann würde der Staat vertrocknen."
    Dies ist Sado-Anarchismus, und sein führender Theoretiker in der Zone ist in diesen Tagen Miklos Thanatz.
    Hier also endlich die Lüneburger Heide. Das Treffen mit den beiden Gruppen, die den Brennstoff- und den Sauerstofftank transportieren, hat in der vergangenen Nacht stattgefunden. Die Abteilung mit dem Heckabschnitt hat den ganzen Vormittag über Funkverbindung gehalten, wartet auf eine genaue Positionsangabe, sobald nur der Himmel aufklart. Die allmähliche Versammlung der 00001 vollzieht sich auch im geographischen Raum, eine Diaspora, die rückwärts abläuft, Saatkörner des Exils, die wieder aufeinander zufliegen, ein bescheidener Vorgriff auf den Kollaps des Schwerefelds, auf den Messias, der seine gefallenen Funken zu sich sammelt... erinnert ihr euch an die Geschichte von dem Kind, das keinen Kreplach essen mag? Das Kreplach haßt und fürchtet, das schon beim bloßen Anblick von Kreplach in grauenhafte grüne Pusteln ausbricht, die wie eine
    Reliefkarte über seinen ganzen Körper wandern? Die Mutter schleift das Kind zum Psychiater. "Furcht vor dem Unbekannten", diagnostiziert diese graue Eminenz, "lassen Sie ihn einfach mal zusehen, wie sie den

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