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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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existiert." Der Regen klatscht laut auf die Karte. "Wo ist die Bahnlinie?" fragt Christian. Was ihm einen neugierigen Blick von Andreas einträgt. Es beruht auf Gegenseitigkeit. 'ne Menge Neugier gibt es hier seit kurzem. Die Bahnlinie liegt zehn, elf Kilometer im Nordwesten.
    Die Besatzungen der anderen Fahrzeuge bringen ihre Habseligkeiten, legen sie in der Nähe des Raketenanhängers ab. Junge Bäume werden gefällt, jeder Axthieb hallt laut und tragend ... Ein Gerüst wird zusammengebaut, Kleiderbündel, Töpfe und Kessel werden hier und da unter die lange Plane zwischen die zu Reifen gebogenen jungen Baumstämme gestopft, um den Umriß von Raketenteilen vorzutäuschen. "Alle fertigen Attrappen zum Küchenwagen", ruft Andreas und fischt in seinen
    Taschen nach der Teileliste, die er verwaltet. Der Treck mit den Imitationen wird nach Norden weiterziehen, ohne große Richtungsänderungen - der Rest biegt nach Osten aus, wieder auf die Russen zu. Wenn sie sich dicht genug an die Grenze zum russischen Sektor heranwagen, werden sich die britische und die amerikanische Armee wahrscheinlich sehr vorsichtig verhalten. Vielleicht gelingt es, auf dem Grat zu wandern, so wie ein Segelflieger am Rand der Gewitterwolke ... den ganzen Weg zum Ende zwischen den Armeen von Ost und West.
    Andreas sitzt auf der Ladefläche, baumelt mit den Füßen gegen die Klappe bong ... bong ... ein Abfahrtsgeläut. Enzian blickt hoch, fragend. Andreas möchte etwas sagen. Endlich: "Dann geht Christian also mit dir?"
    "Ja?" er blinzelt unter regenbeperlten Augenbrauen. "Oh, Andreas, um Himmels willen."
    "Nun ja. Die Attrappen sollten genauso ankommen, nicht?"
    "Schau, du kannst ihn auch mitnehmen, wenn du willst."
    "Ich wollte nur herausfinden", er zuckt mit den Achseln, "was ausgemacht ist."
    "Das hättest du mich fragen können. Nichts ist ."
    "Vielleicht nicht von dir. Das ist das Spiel, das du spielst. Du glaubst, es wird dich retten. Aber es hilft uns nicht weiter. Wir müssen wissen, was wirklich geschehen wird."
    Enzian kniet nieder und beginnt, die schwere eiserne Ladeklappe hochzustemmen. Er weiß, wie falsch es aussieht. Wer wird ihm glauben, daß er, in seinem Herzen, zu jenen dort draußen zählen möchte, zur riesigen Demut der Schlaflosen, Sterbenden, Schmerzerfüllten dieser Nacht in der Zone? Zu den Übergangenen, die er liebt und denen er, das weiß er, immer fremd bleiben muß ... Über ihm rasseln Ketten. Als der Rand der Ladeklappe auf einer Höhe mit seinem Kinn ist, blickt er zu Andreas hinauf, ihm in die Augen. Seine Armmuskeln sind angespannt. Seine Ellenbogen schmerzen. Es ist ein Opfer. Er möchte fragen: Wie viele von den anderen haben mich schon abgeschrieben? Gibt es ein Schicksal, vor dem ich alleine blind bin? Aber Gewohnheiten sind beständig, führen ihr eigenes Leben. Er kämpft sich auf die Füße, schweigend, drückt die tote Last nach oben, schlägt die Klappe zu. Gemeinsam verriegeln sie die Haltebügel an den Ecken. "Bis bald", winkt Enzian und wendet sich ab. Er schluckt eine Tablette deutsches Desoxy-ephedrin und schiebt einen Kaugummi hinterher. Der Speed läßt die Zähne mahlen, der Gummi wird von den mahlenden Zähnen gekaut, auf Gummi zu kauen ist eine Technik, die die Frauen im letzten Krieg entwickelt haben, damit sie nicht weinten. Nicht, daß er über diese Trennung weinen wollte. Über sich selbst will er weinen, über das Schicksal, das alle hier für ihn erwarten müssen. Je mehr sie's glauben, desto größer ist die Chance. Seine Leute werden ihn zerstören, wenn sie können ... Katsch, katsch, hmm, die Damen, guten Abend, gut gemacht dort das Festzurren, Ljubica, katsch, wie geht's dem Kopf, Mieczislaw, wetten, daß die nicht schlecht erstaunt waren, als die Kugeln abgeprallt sind! heh-heh, katsch, katsch, Gunabnd, "Funke" (Ozohande), schon was aus Hamburg gehört vom Flüssigsauerstoff, dieser verdammte Oururu sieht hoffentlich zu-hu, daß er rechtzeitig damit runterkommt, sonst könn wir uns ganz schön den Hintern verbrenn beim Warten - oh, Scheiße, wers das -
    Kein anderer als Josef Ombindi, der Anführer der Leeren.
    Doch bis zum Augenblick, da er zu lächeln aufhörte, ein paar Sekunden lang, hielt ihn Enzian für den Geist von Orutyene. "Man hört, daß die Okandio-Tochter auch getötet worden ist?" "Irr-tum." Katsch.
    "Sie war mein erster Versuch, eine Geburt zu verhindern." "Also hast du dein tödliches Interesse an ihr bewahrt", katsch, katsch. Er weiß, daß es so nicht stimmt,

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