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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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"Dank dir", sagt Oberst Enzian.
    Hundert Meter weiter, in ein anderes weißes Paraboloid geschmiegt, beobachtet sie ein fettes Kind in einer grauen Panzerjacke. Aus einer ihrer Taschen lugen zwei pelzige, kleine, helle Augen. Es sind der fette Ludwig und sein verlorener Lemming Ursula - er hat sie schließlich, endlich und trotz allem doch gefunden. Seit einer Woche treiben sich die beiden am Rand des Trecks herum, immer gerade außer Sichtweite, Tag für Tag den Afrikanern folgend... zwischen Bäumen auf Böschungskronen, vor dem Lichtkreis der Feuer bei Nacht, immer ist Ludwig zur Stelle, beobachtet ... trägt Beweismaterial zusammen oder die Glieder einer Gleichung... ein Junge und sein Lemming, unterwegs, um sich die Zone anzusehen. Was er bis jetzt am häufigsten zu sehen bekommen hat, waren Kaugummis und eine Menge ausländischer Schwänze. Wie sonst soll sich ein heimatloses Kind schon durchbringen, dieser Tage in der Zone? Ursula ist gerettet, Ludwig ist einem Schicksal in die Hände gefallen, das schlimmer als der Tod sein soll, und hat's durchaus erträglich gefunden. So gehen also doch nicht alle Lemminge über die Klippen, und nicht alle Kinder sind davor gefeit, sich in die Sünde des Profits zu hüllen. Mehr von der Zone zu erwarten, oder weniger, bedeutete, mit den Bedingungen der Schöpfung nicht einverstanden zu sein. Wenn Enzian vorausfährt, hat er die Gewohnheit, in Träumereien zu verfallen, selbst wenn der Fahrer mit ihm spricht. Die Nächte ohne Scheinwerfer, ein Nebel, der gefasert genug ist, um zu Boden zu sinken oder einem ab und zu wie ein nasser
    Seidenschal ins Gesicht zu wehen, kein Unterschied in Temperatur und Dunkelheit zwischen innen und außen, solche Gleichgewichte gestatten es ihm, sich knapp unterhalb des Wachseins dahintrei-ben, seine Arme und Beine hochquellen zu lassen, bis sie an die gummige, durchschimmernde Oberflächenspannung zwischen den beiden Ebenen stoßen und darin steckenbleiben, traumgestreichelt an Händen und Füßen, die überempfindlich geworden sind, ein gutes, heimeliges, horizontales Dösen. Das Motorengeräusch des gestohlenen Lasters wird von dicken, quer über die Haube gebundenen Matratzen gedämpft. Henryk der Hase, der den Wagen fährt, schielt mißtrauisch auf die Kühlwassertemperatur. Er wird "der Hase" genannt, weil er Botschaften nie richtig kapiert, genau wie der Hase aus der alten Herero-Sage. So geht die Ehrfurcht zugrunde.
    Eine Gestalt huscht auf die Straße, eine Taschenlampe kreist langsam. Enzian klappt das Fischblasenfenster herunter, lehnt sich in den dichten Nebel hinaus und ruft: "Schneller als die Lichtgeschwindigkeit." Die Gestalt winkt ihn weiter. Doch im äußersten Augenwinkel des Blicks, den Enzian ihr nachwirft, perlt der Regen im Licht der Taschenlampe in dicken runden Kugeln über das schwarze Gesicht, wie's Wasser auf schwarzer Fettschmiere tut, aber nicht auf der Haut eines Hereros -"Glaubst du, daß wir hier wenden können?" Die Böschung ist tückisch, und sie wissen es beide. Hinter ihnen, in Richtung des Lagers, erklingt ein dumpfer Knall, gefolgt von einem aprikosen-farbenen Lichtschein, der die Silhouette der flachen Hügel in Gegenlicht taucht.
    "Scheiße", Henryk der Hase quält den Rückwärtsgang rein und beginnt, langsam zurückzusetzen, während er noch immer auf Enzians Befehle wartet. Der Posten mit der Taschenlampe mag allein gewesen sein, vielleicht gibt's auf Kilometer hinaus keine größere Feindkonzentration. Aber -
    "Dort!" Neben der Straße ein regloser Körper. Es ist Mieczis-law Omuzire mit einer bösen Kopfverletzung. "Mach schon, rein mit ihm!" Sie hieven den Körper auf die Ladefläche des tuckernden Lasters und decken ihn mit einer Zeltbahn zu. Keine Zeit, jetzt nach der Wunde zu sehen. Vom schwarzgesichtigen Posten ist keine Spur mehr zu entdecken. Aus der Richtung, in die sie zurückstoßen, ertönt das trockene Bellen von Gewehrfeuer.
    "Im Rückwärtsgang wolln wir da rein?" "Hast du vielleicht Mörserfeuer gehört?" "Seit dem Christbaum? Nichts mehr." "Dann muß ihn Andreas erledigt haben."
    "Oh, die werden in Ordnung sein, Nguarorerue. Um uns mach ich mir Sorgen."
    Orutyene tot. Okandio, Ekori, Omuzire verwundet, Ekori lebensgefährlich. Die
    Gegner waren weiß.
    "Wie viele?"
    "Ein Dutzend vielleicht."
    "Auf eine sichere Postenkette", blauweißes Lampenlicht rutscht von Ellipse zu Parabel über die zitternde Karte, "können wir uns bis Braunschweig nicht verlassen. Falls das überhaupt noch

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