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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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auf
seinem Schreibtisch fand.
    Indische Mudras waren sein
Steckenpferd, mystische Gesten, die ihm die Arbeit des Leidens erleichterten.
Kreuzungen, Kreuzigungen, die Mukula hießen oder Varuna, Mahasirs. Was tust du
da? Däumchen drehen?
    In diesen Stellungen, Schätzchen,
nähere ich mich der Welt.
    Weiß der Himmel, was er sich dachte,
wenn er die Finger zur Garuda-Mudra verschränkte, jedenfalls nichts Gutes.
Trotzdem saß sie am Fenster, streichelte ihre Wachsblume und beobachtete ihn.
Der geheimnisvolle Vogel Garuda, verkündete er plötzlich, gilt als Feind der
Schlangen und ist Vishnus Reittier. Hände vereinigten sich, flatternd,
lebendig, und entsetzt starrte sie Izzys unbekannte Hände an. Versuch dir ein
Leben als Raubvogel vorzustellen, Verna, nicht als armes Mäuschen, befahl er,
und sie hatte es versucht, weiß der Himmel. Aber vielleicht fehlte ihr die
Phantasie. Deshalb besorgte sie sich ein Mudra-Lexikon und las darin einen
bekannten Satz: Versuchen Sie, sich ein Leben als großer Raubvogel, nicht als
armes Mäuschen vorzustellen.
    »Plagiator«, flüsterte sie boshaft und
sah ihren Fingern zu, die sich zu Klauen krümmten. Vielleicht war sie nicht
leer genug zum Schreiben, vielleicht ließ sie sich zu sehr von Worten
beeindrucken, um selbst wortreich zu sein. Das Genie muß sich durch Raum
verführen lassen — nur eins darf das Genie nie: darüber nachdenken, wie groß
der Raum ist. Izzys gestohlene Worte, ein Überfluß, ein Ozean. Ein Baggersee,
genauso tot wie du. Sei einfach. Und sie war, aber es hatte keine Wirkung.
    Ein Esoteriker, sagte ihre Mutter mit
angeekelter Stimme. Der Antrittsbesuch war ein kompletter Reinfall gewesen,
Mutters Garten, die Schmetterlinge, Zitronenfalter und Admirale, der starke
Vanillegeruch der Kohlröschen, dazwischen anklagend ein Kirschkuchen.
Stundenlange Vorträge aus Izzys schönem, unbelasteten Mund. Buddhas Reden und Tonglen, seine freundliche Praxis des Mitgefühls, die Izzy wortreich erklärte. Schmerz
einatmen, Heilung ausatmen. Ich tue es für alle. Es mindert den eigenen
Schmerz. Welchen Schmerz denn, dachte Verna, aber Mutters pfirsichfarbenes,
schwüles Kleid und die reinweiße Schürze strahlten Hoffnung aus, sie war die
reine Hoffnungsbombe. Soweit, hatte Verna gefunden, glichen Mutter und Izzy
sich. Beide stets kurz vor der Zündung.
    »Hallo?« fragte sie laut, »hallo!« Wie
Glas schwirrte ihre Stimme über dem sonnigen Raum. Kann ein Mensch aus reinem,
weißem, dreizackigen Haß bestehen, Izzy? In der Literatur hat Haß keine Farbe,
antwortete er vorwurfsvoll.
    »Ach, halt doch den Mund«, sagte sie im
Pilzfreund-Tonfall, den Alakar Macody sie gelehrt hatte. Freundlich leuchteten
die Wände ihrer Wohnung, in Brusthöhe gelb und mit Schwämmen verwischt. Das war
jetzt modern, in Fluren oder Küchen knieten sie und verwischten Anstriche wie
tollköpfige Kinder. Das Windspiel aus Bambus bewegte sich im Wintergarten,
»pjong, pang«, idiotisch. Izzy hatte alles Asiatische geliebt, obwohl die Hunde
ständig nach den Mobiles schnappten. Verna seufzte, das Blinken des Cursors auf
ihrem Bildschirm machte ihr angst. Izzy, schrieb sie, ich bin
verrückt nach dir. Als sie sich länger kannten, hatte er alle fünf Finger
einer Hand in sie hineingesteckt wie in eine Kasperlepuppe, er brannte und zog
in ihr. Zulassen, murmelte er zwischen ihren Oberschenkeln, und Verna fühlte
sich so grandios, wie er sich grandios in ihr anfühlte. Zwar war sein Schwanz
zu klein, aber was er damit anrichtete, war umwerfend.
    »Pjong, pang«, der Kühlschrank
schaltete sich ab. Zulassen — und irgendwo kläfften die drei Hunde, die ihn
überlebt hatten. Sie weinte, Flüssigkeit aus ihren Augen verwischte die
fünfzehn Zeilen. Entmündigung, warum nicht darum bitten? Die Wohnung war zu
still für diesen Sommer. In den Ecken lebten Menschen, die man nicht sehen
konnte, ein zweiter Atem, Pulsschläge. Mein zweites, schwarzes Herz.
     
    Das Geblubber des blauen Mofas klang
Alakar noch in den Ohren, als Erma Zoffi längst in der Kurve hinter dem Wald
verschwunden war. Minutenlang hatte ihn die Postbotin auf der Türschwelle
angestarrt, als hätte er eine widerwärtige Behinderung. Vermutlich beeindruckte
sie aber nur die Tatsache, daß er im Fernsehen gewesen war. Ihm war das
ausufernde Schweigen peinlich gewesen, ein körperlicher Schmerz, den er noch
spürte, als er am Küchenfenster Stockschwämmchen für sein Mittagsmahl hackte.
Draußen rauschten die Eiben, und Alakar meinte

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