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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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Mutter hätte
gemutmaßt, daß er damit den Vorläufern der Beat-Generation ein Denkmal setzen
wollte. Leuten wie William Carlos Williams, dem Pflaumenfreund.
    Ich habe die Pflaumen gegessen, die im
Eisschrank waren, dachte
Alakar abfällig. Na und, ich auch. Solches Zeug konnte er noch
zusammenschmieren, wenn er obstpflückend an einer Leiter hing. Hinter den
Kornelkirschen am Zaun, wo die Wacholderdrosseln nisteten, hörte er ein
Schnackern, als er die Tür zuzog. Aufgebracht schimpften die Drosseln über Erma
Zoffis neongelbes Kopftuch, das wie ein großer Zitronenfalter auf ihren Haaren
saß.
    »Ich weiß auch nicht«, sagte sie und
schwenkte die Briefumschläge vor ihrem kräftigen Busen, »nein, ich weiß
wirklich nicht!«
    Geduldig wartete Alakar und betrachtete
die nebelhaften Striemen über dem wütenden Fluß. Verzeih mir, bat
William Carlos Williams seine Frau, die in den leeren Kühlschrank starrte, sie
waren herrlich, so süß und so kalt. Für einen vernünftigen Menschen hörte
sich das weniger lyrisch als hysterisch an. Womöglich war Rutherford, New
Jersey, ein übles Pflaster, wo bereits ein bißchen geklautes Fruchtfleisch für
ähnlichen Aufruhr sorgte wie anderswo die Atombombe.
    »Darf ich noch Alakar sagen?« fragte
Erma. »Oder besser — ich meine, wir in der Gegend hier sind einfache Leute.«
Erwartungsvoll blickte sie ihm direkt ins Gesicht.
    »Das stimmt!« sagte Alakar. Er fand das
passend. Pflaumen. Amerikaner durften sich in Amerika eben alles leisten. Wäre
Eliot dagegen in London auf literarische Pflaumen verfallen — leicht auszumalen,
wie sein dreiköpfiger Zerberus Ezra Pound ihn auf der Stelle aus dem Verkehr
gezogen hätte.
    »Ich meine, gestern. Verna Albrecht! Du
liebe Güte, Alakar, ich bewundere Verna Albrecht!«
    »Ich auch«, sagte er, »das heißt, im
Moment ist mir nicht ganz klar... aber generell durchaus.«
    Unter den Schindeln sauste der Westwind
und blies Erma ein paar Strähnen schütteren Haars in die Augen. Es würde wieder
heiß werden, vom Fluß her roch es nach Verwesung. Wahrscheinlich nur der
springende Fisch, der in der Nacht gestorben war. Ich liebe die Einsamkeit,
dachte Alakar Macody, wahrhaftig, manchmal so sehr, daß ich nicht mehr mit
Postbotinnen reden kann. Einem lyrischen Landarzt standen da ganz andere Mittel
zu Gebote. William Carlos Williams mußte nur an einem eiskalten Tag in
Rutherford, New Jersey, eine Katze begraben, die Kiste, in der sie sich
befunden hatte, ins Feuer werfen, der Briefträgerin davon erzählen und das
Ganze gleich mitstenographieren. Was an Flöhen entkam, der Erde, dem Feuer,
ging an der Kälte ein. Völlige Zerstörung! sagte William Carlos Williams
zur Postbotin, rannte ins Haus und setzte seine Einschätzung der Lage als Titel
über das Katzentodgedicht. Völlige Zerstörung, da war er sich mit Alakar einig.
    »Was ich sagen wollte«, sagte Erma
Zoffi und betastete ihre Schläfe, wo eine flache Alterswarze wie ein winziger
Pfannkuchen saß. »Fanden Sie nicht, daß Verna das grüne Kleid ausgezeichnet
stand?«
    »Mir gefällt das gelbe,
hochgeschlossene besser, es erinnert mich ein bißchen an Raps«, sagte er, »farblich
selbstverständlich, nicht wegen des Geruchs.«
    Als Erma ihr Kinn gewalttätig auf und
ab warf, wünschte er, er hätte eine Katze in der Kiste parat. Waren
andererseits Englands monarchistische, poetische Sturzflüge tatsächlich im
Vorteil gegenüber dem krachenden Realismus der Amerikaner? Abgesehen von Eliot,
der nur so tat, als sei er Engländer — man mußte bloß an Philip Larkin denken.
Derart kurzsichtig, daß er gerade noch die Sonne erkannte, die und seine
Königin. Der Dichter dichtete das, was er sah, deshalb strotzten Larkins
ungereimte Verse auch vor Löwengesichtern. Darüber hinaus war Coventry in
lyrischer Hinsicht offenbar genauso langweilig wie Rutherford, USA. Englische
Dichter, die keine Fish-and-Chips-Buden mehr ertrugen, wanderten beleidigt durch
Moor und Regen, unfähig, den Jammer mit anzusehen. Wörter strömten ihnen aus
Mündern, Köpfe knackten, dem blütenblättrigen Flammenhaupt entgegengereckt, das ihnen zum Dank einen Sonnenbrand verpaßte.
    »Was werden Sie mit der Million
anfangen?« sagte Ermä Zoffi unvermittelt und sog die Unterlippe zwischen die
Zähne.
    »Welche Million meinen Sie?« fragte er,
nur um etwas zu sagen.
    »Entschuldigen Sie, Alakar«, sagte Erma
bestürzt, als sie seine Miene sah, »ich wollte wirklich nicht über Geld reden!«
    »Welches Geld

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