Die Endlichkeit des Lichts
denn?« fragte er und
sehnte sich unvermittelt nach den morgendlichen Seifenopern, nach alten Frauen,
die sich für Filme wie Der Name der Rose begeisterten, gütigen
Gesichtern unter plustrigen Frisuren, nach solchen alten Frauen, die
ausgestorben waren. Der bourgeoise Angsthase, rief seine Mutter, schält lieber
Gemüse, als endlich ein paar Artikel zu schreiben. Oder schick wenigstens diese
Gedichte in die Welt hinaus!
Ausdruckslos starrte Erma Zoffi ihren
Nagellack an. Er hätte ihr die Tür vor der Nase zuschlagen sollen, bevor sie
beide entgleisten. Bevor sie von Geld zu reden begann. Sie mußte besessen davon
sein. Wenn sie nur einmal seinen Eltern begegnet wäre, hätte die Postbotin
unter Armut nicht mehr gelitten. Armut war das letzte, worunter man leiden
mußte, da gab es Größeres, die Dummheit der Leute oder die Zeit. Erma
durchbohrte ihn mit ihrem Blick. So sahen Menschen Dampfkochtöpfe an, die unter
beträchtlichem Druck standen. Dies war eine zerbrechliche Situation, schien
ihm, und es wurde Zeit, verdammt vorsichtig zu sein.
Jemand mästete sich, jemand wuchs, ein
Freudenfest, bald würde jemand anderer geschlachtet werden. Manchmal glaube
ich, schrieb Verna, daß ich verrückt bin. Irgendwo in meinen Adern schwimmt
eine Wahnsinnige. Gläserne Augen, filziges Haar, und ihre vielen Namen hat sie
vergessen. Der Computer machte einen Einzug, wo keiner hingehörte, Verna
betätigte Rückgängig: Eingabe, und der Einzug rückte zurück. Dann war es
genug, rien ne va plus. Der Bildschirm flackerte, fünfzehn Zeilen, aus die
Maus. Wüst und leer wartete das Arbeitszimmer, es war finster auf der Tiefe,
und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser. Berückende Stille, darin ein
schweigendes Telefon. Wen rufe ich an. Wen rufe ich heute an. Ich kenne viele
Menschen. Ich rufe sie an und rede über die Show. Über Manasses ewige Faxe. Ich
rede über alles, nur nicht über das, was hier nicht passiert.
Schreibblockade, sagte Izzy tadelnd.
Was läßt du dir nun wieder einfallen, Liebelein? Du hast doch nie richtig
geschrieben. Warum fängst du denn jetzt damit an?
Neben der Tastatur lag das
verschrumpelte Kerngehäuse eines Apfels, darunter ihr Tagwerk, anklagend.
Fettes Schwarz auf weißem Grund. Sie ordnete die Ausdrucke, die Manasse ihr
nach der Show aufgedrängt hatte, bevor sie ihn in seinem Jammer sitzenließ. Mit
Kavo, der sich fragte, welcher Werbekunde genau Macodys Million bezahlen würde.
Der letzte auf der Liste der alten und neuen Kandidaten hieß Alakar Macody.
Pilzsammler und Telefonkandidat, Pilzsammler und Millionär. Noch mal hörte sie,
wie er am Telefon befahl: Fassen Sie die Dinger einfach an.
»Tu ich ja«, sagte sie laut. Er mußte
einen an der Waffel haben. In der Küche summte der Kühlschrank mit
Fünfsterne-Aufsatz, einem Gefrierfach, in dem man eine halbe Familie
konservieren konnte. Izzy, dachte sie, schade um das, was man mit dir und dem
Kühlschrank hätte anstellen können. Saubere, weiße Knochen, ein Bündel aus
Plastikfolie in einem blauen Kühlaufsatz, ein Andenken. Oder ein Verbrechen?
Jedenfalls hätte ich Izzy darin verstauen können, verstaut, entfleischt,
entkernt, entbeint. Die reine Freude für einen schafsköpfigen Pathologen.
»Entbeint«, sagte sie und lauschte in die Luft. Wenn ich ihn wenigstens
umgebracht hätte. Einen Augenblick lang entzückte sie die Vorstellung seiner willenlosen
Leiche in ihrem gemeinsamen Bett. Die geblümte Steppdecke, darüber gefaltete
Hände. Es ist angerichtet. Aber damals hatte sie nicht mal ein Gefrierfach
besessen.
Manasses Faxe mit den eingedrückten
Seitenkanten waren stumpf, und sie rollte das Papier zu kleinen holzigen
Fernrohren, durch die sich Lug und Trug ausmachen ließen. Ich bin eben keine
Romanautorin, sagte sie zu Izzy. Sicher nicht, Liebelein, versuch’s doch mal
mit einem hübschen Kinderbuch! Die hohen Götter schwören immer bei den Tiefen.
Sei groß, dann wirst du klein und umgekehrt. Das ist es doch, was Schreiben
heißt, Vergewaltigung, sagte er, die Vergewaltigung des Dichters durch das
Wort. Als er sich wieder seinen engbeschriebenen Bögen zuwandte, sah er selbst
vergewaltigt aus.
Entmündigung also, sagte sie, warum
nicht darum bitten?
Aber Izzy ignorierte sie, schrieb einen
Satz, stand unvermittelt auf und hockte sich auf seine Meditationsdecke. Auf
sonderbare Weise verschlangen sich seine Hände ineinander. Entmündigung
also, warum nicht darum bitten? stand auf dem Bogen, den sie abends
Weitere Kostenlose Bücher