Die Endlichkeit des Lichts
Mutter sich als Erwachsene mit
ihrer ganzen Heimatstadt überworfen hatte. Störrisch verweigerte sie Pisa ihren
Sohn und ließ Antonio im Sommer nicht mal Eis aus den Dolomiten essen. Spenden,
dachte Alakar, wenn ich gewonnen hätte, würde ich es an die Dolomitieri
spenden, und dann würde ich ein Gedicht darüber schreiben, wie ich meinen
verstoßenen Genen zum Trotz gespendet habe. Wenn die Rede auf die Herkunft
seiner Mutter kam, behauptete sie vor Fremden stets, daß sie Römerin sei.
Weintrauben und Pfauenfedern, Gelage, das hob ihr Prestige.
Er nahm seinen Regenhut vom Bord und
schaltete den Anrufbeantworter ein. Verna Albrechts regnerische Stimme klang
ihm noch in den Ohren, darunter ein Murmeln aus endlosen, gequälten
Pilzsammlerfloskeln. Punkt eins: visuelle Begutachtung, sagte der Hofnarr.
Fassen Sie die Dinger einfach an! Verna Albrecht lachte. Er konnte ihren Namen
nicht mehr hören, nein, er wollte sich von jemandem, der Verna hieß, nicht das
Dasein versauen lassen. Verna-Laterna, das klang so verdammt beliebig.
Verna wartete das viermalige Klingeln
ab, bis sich der Anrufbeantworter einschaltete: »Lassen Sie uns über die
Dummheit der Menschen reden.« Bevor es piepte, legte sie auf und wählte noch
mal. Draußen schrien scheußliche, zahnlose Kinder auf dem Gehsteig. Seit sich
biologische Wasserfilter in ihrer Straße breitgemacht hatten, Turnhallen und
Absatzgenossenschaften, die Kornähre oder Maulbeerfeigenbaum hießen, platzte das Viertel aus allen Nähten. An solchen Orten waren Eltern
besser als die deutschen Kaiser. Über Laufställen trieben sie ihr Unwesen,
alternde Sozialpädagogen, die unter nervösen Anfällen von Torschlußpanik litten
und in allen Gassen mit ihrer kreischenden Brut kämpften.
Verna nahm das Telefon vom Knie und
machte einen langen Hals, damit sie die Straße besser überblicken konnte.
Kleinen Finger in kleinen Finger gehakt, schlenkerte vor dem Café ein
überreifes Paar die Hände und beaufsichtigte zwei Mädchen, die sich an einer
Pflanzschale zu schaffen machten. Ja, rupft nur diese schöne Yucca-Palme aus
dem Yucca-Palmen-Topf, nein, die Kellnerin pflanzt sie gerne wieder ein. Wenn
ihr Lust dazu habt, warum reißt ihr die Blätter denn nicht ab und bastelt euch
lustige kleine Hüte? Vielleicht waren es Menschen, dachte Verna, konnte sein.
Natürlich war das eine schwere Aufgabe. Für das Menschsein mußte man sich entschädigen.
Sie griff nach dem Telefon und wählte
erneut. Die Mutter kitzelte das kleinere Mädchen im Nacken, bis es nervös
kicherte. Der Vater rüttelte an einem Palmenblatt. Es waren gute Eltern,
bemüht, gute Hyänen aus ihren Kindern zu machen. Hui-Buh! kreischte der Vater,
und die Mädchen warfen ihm Yucca-Palmen-Blätter hinterher. In der Leitung
klickte es.
»Großartig«, rief sie laut aus dem
Fenster, »das macht ihr aber fein!« Als sie sah, daß die Eltern wie auf
Kommando die Köpfe in den Himmel hoben, duckte sie sich, bis die Luft wieder
rein war. Aus dem Hörer redete Alakar Macodys Anrufbeantworter. Meine Mutter
ist meine beste Freundin, sah sie sich in Schönschrift in ihr Aufsatzheft
schreiben. Das Entsetzliche war, daß es stimmte. Damit hatte ihre Mutter ihr
alles vermasselt. Sie legte auf, wählte, und diesmal hörte sie die Ansage in
voller Länge ab. Auflegen, wieder wählen, und plötzlich nahm das Gekreische
draußen ein Ende. Wahrscheinlich fielen sie unterdessen im Café ein und
beschmierten alle Stühle mit Kakao.
Im Zimmer war die Atmosphäre feiner
geworden, heller, geheiligt, und Verna Albrecht kletterte durch die geheiligte
Atmosphäre, auf rätselhaften Pfaden. Sie vollzog ein geheimes Ritual,
Klingelzeichen, Morsesignale. Keine Ahnung, was sie sagen würde, wenn Alakar
Macody wider Erwarten doch abhob. Nichts würde sie sagen. Sie wollte nur noch
einmal seine Stimme hören. Izzy, wie er sagte: »Komm schon, Verna, laß uns
endlich über die Dummheit der Menschen reden.«
In Alakars Küche läutete das Telefon,
der Anrufbeantworter klickte. Es war peinlich gewesen. Brainonia, die
Fragen und die Rolle, die er spielte, ein Schopftintling, ein Pilz. Wie Verna
ihn angesehen hatte, das Grausen in ihrem Blick so nackt, daß es aus dem
Bildschirm in seine Küche gefallen war. Was einen Mann am Leben erhält,
analysierte seine Mutter, ist der weibliche Schatten. Einst war sie eine gute
Freundin von C. G. Jung, aber die einseitige Freundschaft gestaltete sich eher
platonisch, literarisch. Batman wurde mit
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