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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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über und unter der Bühne, Melusinen. Verna, Vera,
sangen die Glückskäfer. Chimären, bloße Ideen wie der Gewinner, der er war, ein
Pilzsammler, nichts als schlafwandelnder Logos. Wenn er nicht existierte, hieß
das, daß auch die Welt ein Irrtum war. Maya, Blendwerk.
    Tat twam asi, und was bist du? Schon
fühlte Alakar seinen Körper sich trudelnd entfernen. Es schien ihm
lebensnotwendig herauszufinden, wie seine Mutter hieß. Nie hörte Antonio, daß
sein Vater sie anders als He! oder Kannst du bitte mal kommen! rief.
Andererseits war Alwin ein Ignorant, sobald es um weniger als um Protonen ging.
Vielleicht benötigten Analytikerinnen mit eigener Praxis auch nicht mehr als
eine Berufsbezeichnung. Sie steht auf den Schultern von Giganten, sie steht auf
größeren Namen. Wer hatte das gesagt?
    Unter Umständen handelte es sich
schlicht um einen Trick. Niemand nirgendwo sein, ein namenloses Blatt in den
Tagebüchern von Klienten, die schlimme Dinge mochten, logen, stahlen, bissen
und die Welt auffraßen. Klienten projizierten, davor mußte man sich hüten, denn
am Ende standen die Gesunden als Verrückte da.
    Mit ihrem Standardwitz vom Arzt und dem
Esel drehte Verna sich zu Vera Albert um, aber von der Mutter des Esels war
nicht die Rede. Hatte T. S. Eliot eine Mutter gehabt? Die Glückskäfer tanzten
um die stampfende Vera Albert herum. Natürlich hatte er. Darauf pochte Antonios
Mutter, als sie mit King Bolo, dem großen Schmutzepos, in sein Zimmer
einbrach, an der Dieffenbachie vorbeiflog, die er liebevoll mit Wasser
übersprühte, und sich vor ihrem Sohn aufbaute. Nur ein letzter Schlag noch, und
sein Idol würde vom Sockel gehoben, weil sie es nicht ertragen konnte, in guter
Gesellschaft verherrlicht zu werden. Vielsagend betrachtete sie die
Sprühflasche, die Antonio in der Hand hielt. Na und? Er putze eben gern. Feiner
Nebel senkte sich auf die Junggesellenpalme und dann auf ihr Haar, bevor sie
mit allen Schlagworten ihrer Zunft aufwartete: Urangst, Vereinnahmung,
Übermacht.
    Mutterangst, sagte sie, führt zu
Bagatellisierung der Sexualität. Lies das, Antonio, King Bolo, ein
Titel, der bereits alles über eure Ängste sagt. Und weiter, fragte Antonio
scheinbar ungerührt, seit wann wird das Genie denn durch die Macke entwürdigt?
Ich dachte immer, es verhielte sich umgekehrt. Ihr Gesicht überzog sich mit
gelblichen Flecken wie die Blätter der Dieffenbachie im Regal. Zufrieden wandte
sich Antonio seiner Sprühflasche zu und wartete darauf, daß sie sagte, was zu
sagen war: Schwul bist du, mein Lieber, das weiß ich ganz genau. Aber sie hielt
ihren Mund, vielleicht befürchtete sie, die Dieffenbachie würde unter der Wucht
ihrer Worte eingehen. Erst kurz vor seinem Umzug in eine dunkle
Einliegerwohnung warf er ihr vor, sie habe ihm Schuldgefühle eingepflanzt wie
fremde Organe. Aber sie konterte, er sei von Eliots kruden Vorstellungen eines
poetischen Wochenbetts infiziert. Gedichte gebären, pah! Trotz seiner Proteste
drang ihr Widerwille gegen Poesie in ihn ein und keimte, und lange kam Antonio
nicht darüber hinweg, daß Eliot möglicherweise kaum mehr als er selbst gewesen
war. Ein Nichts angesichts jener Stimme, die Parolen brüllte: Faß das nicht an!
Lauf nicht auf die Straße! Nur noch eine Kartoffel! Nimm endlich Deo, wenn du
dich schon nicht wäschst!
    Mit einem gewaltigen Spin drehten sich
die Glückskäfer um ihre Achse, und dann war Vera Albert an der Reihe. Ihre
Augen klebten an Alakar und überzogen ihn mit Bedeutung. Er fragte sich, ob das
Bild, das sie sah, ihn prägen würde, ein Stempel, der ihn äußerlich veränderte.
Als er ihr wieherndes Lachen hörte, wußte er, daß sie die Wahrheit über ihre
plumpe Gestalt nicht verkraften könnte. Sie war keine Dichterin, die zu
ertragen gelernt hätte. Deshalb mußten Dichter Mütter haben, schließlich
drückten sie Sterblichkeit aus — eine Aufgabe, die nur Zwerge zu lösen
vermochten, die dem anderen mehr Größe zugestanden als dem Selbst. Am liebsten
bewegte sich seine Mutter in therapeutischer Nacktheit durch die Wohnung. Bloß
keine Verlegenheit, alles natürlich, auch ihre massiven Brüste, die von
riesigen, zu dunklen Höfen gekrönt waren. Manchmal kam sie ihm unendlich vor.
Nirgends fing sie an, hörte nirgends auf, ähnlich wie Vera Albert. Darum bin
ich ein Dichter, dachte Alakar. Ich benötige das Muttergefühl. Schrumpfung ist
mein Geschäft.
    Ich bin groß, sagte seine Mutter, wie
groß, Antonio? So groß. Batman zeigte auf

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