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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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den Himmel. Du bist klein, Antonio,
wie klein? So klein. Batman zeigte auf die Erde. Gerne schärfte sie sein Gefühl
für Proportion, und er lernte die Ehrfurcht, das absolute Gehör für die
Wahrheit.
    Als Verna der Teilchenkandidatin die
erste Frage stellte, schoß Alakar plötzlich der verlorene Name durch den
Körper. Er paßte nicht im mindesten zu seiner Mutter: Vivien, wie Pfefferminzpastillen,
vorne scharf, hinten süß, nur daß es bei ihr umgekehrt war. Eliots erste Frau
hieß Vivien, sagte seine Mutter schadenfroh. Vivien Albert, rief Verna, oder
hatte er sich verhört? Endlich erhob sich die schwarze Wand der schwarzen
Männer im Studio. Irrsinn. Dahinter Vergangenheit, nicht minder gewaltig, eine
Burg, von deren Zinnen Vera Albert winkte. Ein Bild, das aus einem Bild schrie.
Bilder machten Töne, wenn sie über sich hinauswuchsen. Und am Ende der Töne der
absolute Ton. Der letzte Ton, der Ton des Sterbens, wenn alle Töne gehört sind.
     
    Um Verna tat sich ein grauer Garten
auf, als ihre Hypochondrie, die faul an der Kette gelegen hatte, erwachte.
Nachts würde sie wieder in die Lampe starren und nach Leberflecken suchen, die
sich in maligne Melanome verwandelten, falls nicht ein Arzt ihres Vertrauens
sie mit einem entschlossenen Schnitt daran hinderte. Doch es gab keinen Arzt,
dem Verna vertraute. Sie vertraute ja nicht einmal Gott. Je nervöser Vera
Albert wurde, desto mehr Salatöl dünstete sie aus, während Verna sie über ihre
Rechte aufklärte. Das war der Slang, den Manasse, der Amerikafreund, für die
Erläuterung der Spielregeln benutzte.
    Geflügelte Worte standen hoch im Kurs
bei Brainonia, angefangen von der großen, der perfekten Antwort, die zum
Synonym für Versagen und Enttäuschung geworden war. Nur wußte davon keiner
außer Manasse und ihr. In der lustlosen Nacht auf seiner Bettkante hatte Verna
von ihm wissen wollen, was er eigentlich in Frauen suchte. Allerdings kam ihr
die Formulierung derart obszön vor, daß sie lieber fragte: Was willst du
eigentlich von Frauen, Manasse?
    Wortlos stierte er auf die Bommelschuhe
und zählte die Karos des Bettbezugs. Sie wiederholte die Frage. Nach dem
verschwitzten Debakel fiel ihr nichts anderes ein, worüber sie hätten sprechen
können, aber leider schienen selbst Bommelschuhe den armen Manasse an seine
Impotenz zu erinnern. Nach einer Weile hatte er doch noch den Kopf gehoben und
gesagt: Ich warte auf die große, die perfekte Antwortl Weizenbier gurgelte ihm
in der Kehle, so laut, daß Verna sich ekelte. Ihm jedoch waren die peinlichen
Geräusche egal, derart entsetzte ihn das Pathos seines Geständnisses. In Vernas
Lachanfall hinein klopfte ihr Herz, als galoppierten tausend Pferde unter ihren
Schlüsselbeinen. An die hundertmal hatte sie sich für den Ausbruch
entschuldigt, beständig kichernd, während er gestammelte Erklärungen von sich
gab. Ihr Zwerchfell aber verkrampfte sich noch, als sie die Wohnungstür
vernehmlich zudrückte. Nach jener Nacht litt Verna plötzlich unter einem neuen
Symptom, unerklärlichen Attacken von Angina pectoris. Im Lexikon schlug sie
Vorhofflimmern und Myokardinfarkt nach, und unter Vorspiegelung falscher
Tatsachen besorgte sie sich ein Nitroglyzerinspray aus der Apotheke. Aber die
Anfälle blieben, bis ihr Karla erklärte, sie entwickle nur eine ganz normale
Herzneurose. Wahrscheinlicher aber hatte Gott sie für ihr Lachen bestraft. Als
Gegenmittel nutzte Verna das homöopathische Prinzip, Gleiches mit Gleichem zu
heilen, und brachte fortan jedesmal, wenn sie eine Kandidatin im Studio hatte,
den Witz mit der perfekten Antwort an. Denn er schien ihr mehr zu Frauen zu
passen als zu Männern.
    »Vera«, sagte sie auch diesmal, »lassen
Sie sich daran erinnern: Brainonia will von Ihnen nur, was wir Frauen
ein Leben lang von den Männern erwarten...«
    Kaum eine Sekunde brauchte das
Publikum, um einzufallen: »Die große, die perfekte Antwort!«
    Wie damals auf Manasses Bettkante
grinste Verna, eine späte, dauerhafte Rache für seine Schleimscheißerei. In der
Kulisse, wo er gefaßt seine Hände knetete, schwenkten die Glückskäfer
rosafarbene Puschel hin und her. Auf lange Sicht war Manasse ein Wurm geworden,
ein Regenwurm, der nachts aus der Erde kroch und einen Angler suchte. Noch
zweimal hatte er sich rehabilitieren wollen und zweimal versagt, während sie
Risse in der Decke betrachtete und gelangweilt ihre Haare zwirbelte.
Wahrscheinlich imaginierte er nun jeden Abend, wenn die Leute die

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