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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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große,
perfekte Antwort in den Raum brüllten, seinen emotionslosen Schwanz, der vor
Verna kapitulierte. Alakar Macody räusperte sich hinter dem Kandidatenpult, und
sie blickte unter halbgeschlossenen Lidern zu ihm hinüber. Immer noch sah er
frisch wie ein Pfefferminzplätzchen aus. Nur deshalb konnte sie kühl und
gewissenlos werden und sich ausmalen, wie es sein würde, wenn sich im Zwielicht
seine Schultern über ihrem Körper bewegten.
    In strengem Ton erklärte Vera Albert
der Welt ihre Vorliebe für Physik, doch Alakar schaltete ab. Es hieß
Muttertaubheit, tatsächlich, sie nannten es so. Wahrscheinlich war er nur
deshalb noch am Leben. Andere Männer hatten andere Schicksale gehabt, Männer
wie der Physiker Wolfgang Pauli. Seine Mutter hatte sich vergiftet, und auch
die vielversprechend bösartige Kabarettsängerin, die er heiratete, ließ ihn
sitzen, weil sie die Namen Bohr, Bunsen und Röntgen nicht mehr hören mochte.
Manchmal war Alakar neidisch auf die Ungebrochenheit von Paulis Untergang.
    Gequält von Verlusten, geriet er erst
an den Alkohol und dann an C. G. Jung, der in ihm die Nabelschnur zum Universum
witterte. Bald versorgte der Alkoholiker den Analytiker mit archaischem
Material, denn er träumte in mittelalterlichen, alchimistischen Symbolen. Sogar
ein Buch hatte Jung über Pauli geschrieben, tausend Träume, in deren
Mittelpunkt die große Vision einer Weltuhr stand, einer Metapher für das
Universum und die Raum-Zeit.
    Brainonia schien vor Jahrhunderten begonnen zu
haben, aber immer noch schrie Vera Albert auf das Publikum ein. Inzwischen litt
Alakar unter Schüttelfrost. Immer wenn Antonio seinem Vater von der großen
Fahrt in den Raum berichten wollte, den Pauli und Jung der Welt eröffneten,
drehte Alwin Macody ihm den Rücken zu. Namen wie Giordano Bruno, dem die
Folterer mit ihren Peitschen die Unendlichkeit ausgetrieben hatten, widerten
ihn an.
    »Elementarteilchen!« brüllte Vera
Albert. »Ein Quark und ein Antiquark!« Sie sprach es falsch aus, so daß es sich
auf Sarg reimte, und klang genauso anmaßend wie sein Vater. Vor der familiären
Eiszeit besuchte Alakar das neue komplett verglaste Häuschen am
Zürichsee, das Alwin Macody wie einen Zeigefinger in den Himmel gebaut hatte.
Tage verbrachten sie damit, sich über den Einbruch des Numinosen in die
Wissenschaft zu streiten. He, rief Alwin am Ende, mir scheint zwar nicht erst
seit heute, als wäre die Welt komplett wahnsinnig, aber was tun die Verrückten?
Jetzt installieren sie ein Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst!
Gelangweilt stand die Psychoanalytikerin auf und begann die Grenze des
Grundstücks abzuschreiten, während Alwin sich in fruchtlosen Selbstgesprächen
erging. Als Antonio schließlich äußerte, daß der Fortschritt eben weder
aufzuhalten noch ein Angriff auf Alwins Lebenswerk sei, schien sein Vater einen
Augenblick das Atmen einzustellen. Die Rabbiner glauben, wenn du deine Sukka
baust, die Hütte, sagte Antonio, dann sieh zu, daß du Geborgenheit darin
findest. Man soll die Unendlichkeit nicht versuchen. Vorsichtshalber fügte er
hinzu, daß Alwin und seine Physikerkollegen ihr Bestes getan hatten. Messen,
sichern, das Unfaßbare faßbar machen. Ihr wolltet doch auch nur Schutz.
    Was redet der da, rief Alwin plötzlich
und winkte die Analytikerin herbei, Schutz, die Rabbiner, meine Hütte? Alwins
Hand, Antonios Wange, ein brutales Zusammentreffen, das selbst seine Mutter
nicht mehr verhindern konnte. Nicht in meinem Haus, rief Alwin. Nicht in seinem
Zeigefinger.
    Wer über Natur sprechen will, sollte
mit Pflanzen reden, sagten die neuen Physiker. Auch Verna Albrecht wußte das
und belagerte Vera Albert mit ihren scheinheiligen Fragen. Absichtlich streifte
der Kameramann ihren Arm, und sie sah ihn einen Moment zu lange an. In ihrem
Blick entrollten sich die zarten Gewebe des Unsagbaren. Augen rollten zwischen
geheimnisvollen Ziffern und achten Tagen, von der Kabbala bis hin zu den
Episteln. Als die Werbung lief, schaltete die Klimaanlage sich ein, und die
Federn der Glückskäferpuschel wehten. Erst Jahrzehnte nach Pauli und Jung kam
endlich auch die denkende Wissenschaft bei der versteckten Symmetrie des
Universums an, die Vera Albert vorn Verna zu erklären versuchte. Sie lachte ein
Feldschwirl-Lachen, Locustella naevia, der Vogel, der nur ungern flog, aber
unablässig monotone Gesänge von sich gab. An ihrem Ansagepult seufzte Verna
auf, weil die Elementarteilchenkandidatin immer atemloser

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