Die Endlichkeit des Lichts
faselte. Man könnte
sich gemeinsam vergiften, dachte Alakar. Paulis Mutter hatte sich vergiftet,
und es war der erste Schritt zur Symbiose zwischen Physik und Psychologie
gewesen. Ein kleiner Tod für einen Sohn, aber ein großer für die Menschheit.
Siegessicher lächelte Vera Albert, als
schwebe die perfekte Antwort bereits wie ein Luftballon über dem Publikum. In
ihrer ersten Frage ging es um den britischen Physiker Ernest Rutherford, der
den Aufbau der Atome nachgewiesen hatte.
»Wie heißen«, fragte Verna, »die
Partikel, die bei der Kollision mit Atomen abgelenkt werden?«
In einer unpassenden Bewegung
schleuderte Vera Albert ein paar ölige Haarsträhnen zur Studiodecke, dann
stockte ihr Lächeln, wurde schwer und hart. Sag schon.
»Hm!« sagte Vera. Vielleicht wußte sie
nicht, daß sie an der Reihe war. Aus dem Hintergrund hüstelte vernehmlich
Alakar Macody.
»Na?« fragte Verna schelmisch, und
natürlich war es ein Fehler, daß sie ihn dabei ansah, nur kam ihr das erst viel
später zu Bewußtsein. Als er plötzlich »Alphateilchen!« sagte, rief sie
erfreut: »Richtig!«
Korrekte Antworten waren eben ihr
Steckenpferd, aber Vera Albert starrte sie mit einem dünnwandigen Blick an.
Immer mehr Schuppen schilferten ihr von der Stirn. Nichts Ansteckendes, kein
Grund zur Beunruhigung. Als ihm der Blick der Kandidatin auffiel, sagte Alakar
Macody »Verzeihung!«, und Verna, die keine Ahnung hatte, warum, bemerkte
plötzlich, daß Kavo aus der letzten Reihe die Vorstellung verfolgte.
»Tausend Mark«, sagte sie, »für Alakar
Macody, unseren Fachmann für Pilze!«
Unvermittelt kam Leben in Vera Albert.
»Er hat aber meine Antwort gegeben!«
unterbrach sie, und Verna begriff, daß auch das korrekt war. Sie ertrug nicht,
wie die Frau sich die Schuppen von der Stirn zu reiben begann, nicht die kalte,
weiße Tönung ihrer Stimme, nicht Alakars Schulterzucken und Kavos gereizte
Fingerbewegungen unterhalb seines Kinns.
»Verzeihung!« sagte Alakar Macody und
kam näher, »wirklich, Vera, ich...«
»Ich will meine nächste Frage!« sagte
Vera Albert schroff. Verna, die es nicht gewohnt war, sich einem Kommandoton zu
widersetzen, riß eilig den zweiten Umschlag auf.
»Nun, Vera, natürlich waren das nicht
eintausend Mark für Alakar Macody. Es war — lediglich ein kleiner Irrtum. Ja,
das ist live! Schließlich befinden wir uns im Herzen der Dinge, mitten im
Leben. Und im Leben gibt es bekanntermaßen viele unterschiedliche Sorten von
Quarks. Sie haben unterschiedliche Flavours, und jedes Flavour kommt in drei
Farben vor. Vera, bitte nennen Sie uns diese Farben!«
»Rot, gelb und blau!« sagte Vera
bestimmt. Verna schaute auf ihren Zettel, aber bevor sie sich versichern
konnte, ob die Antwort richtig war, murmelte Alakar Macody: »Grün!«
Es war nur ein Flüstern, ein sehr
leises Flüstern, das jedoch durch die Verstärkung der Mikrofone anschwoll, bis
es Vernas Ohren füllte.
»So«, sagte sie, »so!«
»Rot, grün und blau«, sagte Alakar, der
ebenfalls die Dimension des Flüsterns erkannt zu haben schien, »wobei das
natürlich nur eine Annahme ist. Keiner kann die Farbe eines Flavours erkennen!
Die Quarks sind ja viel zu klein, um die Wellenlänge des sichtbaren Lichts zu
überschreiten. Aber jede Farbe ist letztlich eine Annahme, genau wie die Null
und die Eins in der Mathematik.«
Als Verna zu atmen versuchte, kam nur
ein Seufzen. Kavo in der hinteren Reihe verschränkte die Hände über den Knien,
und seine Stirn zog sich so weit nach oben, daß der Haaransatz nicht mehr zu
sehen war. Der Eismann im Beziehungsspiel war immer der, der die Gorgo
auflaufen ließ, wenn man dem Astrologiebuch glaubte, das Verna gelesen hatte.
»Nun halten Sie doch endlich die
Klappe«, sagte Vera Albert zu Alakar Macody und machte einen Schritt auf ihn
zu. »Ich sage: rot, gelb und blau!« wiederholte sie und kratzte sich den
Ausschlag, der in den Bereich abgewandert war, wo man natürlicherweise Brüste
vermutet hätte.
»Grün!« wiederholte Alakar Macody und
ließ seinen leeren Blick über Veras leeren Ausschnitt schweifen. »Ich sage
grün. Es tut mir leid, wenn ich Sie korrigieren muß. Aber es geht doch um die
Wirklichkeit. Leider macht das System nun mal die Wirklichkeit, selbst wenn ein
Flavour in Wahrheit gelb sein mag. Das System sagt, daß es grün ist. Und Brainonia ist eine Unterhaltungssendung, die sich unglückseligerweise auf bestimmte
Systeme stützt!«
»Ich will das trotzdem nicht
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