043 - Das Geheimnis der Schattenhand
Rodensky befand sich auf dem Kobenzl, einem Berg in der sanften Hügelkette des Wienerwaldes. Er stand vor dem Eingang eines alten, düsteren Gebäudes. In früheren Zeiten war hier einiges los gewesen. Ein Restaurant und eine Bar standen den Wienern damals zur Verfügung, doch mit zunehmender Motorisierung der Stadtbewohner war dieses Ausflugsziel immer weniger gefragt.
Die Leute fuhren weiter, nicht mehr nur auf den Kahlenberg oder auf den Leopoldsberg. Der Treibstoff war damals noch billig, und so leistete man sich Ausflüge an den Neusiedler See, zu Schneeberg und Rax oder auf den Semmering, während Betriebe wie jener auf dem Kobenzl langsam, aber sicher in die roten Zahlen schlitterten.
Alle Rettungsmaßnahmen, die von der Stadt und von privater Hand unternommen wurden, scheiterten, und so mußte die Restaurant-Bar schließen. Seit Jahren stand sie leer und war dem Verfall preisgegeben.
Und Vladek Rodensky stand vor der schäbigen Tür und überlegte argwöhnisch, ob es ratsam war, das Gebäude zu betreten.
Er wollte es auf keinen Fall tun, ohne seine Waffe aus der Schulterhalfter zu ziehen. Mit einer raschen Bewegung holte er die Mauser-Pistole, Modell HSc, die mit geweihten Silberkugeln geladen war, aus dem Leder.
Während er den Sicherungshebel umlegte, griff er nach der Chromstange an der Tür. Ein kalter Schauer überlief ihn, als unter der Tür, die er zur Seite zog, ein Stein knirschte.
Er blickte in einen dämmrigen Vorraum. Bevor er eintrat, lauschte er konzentriert, denn er konnte nicht mit Sicherheit ausschließen, daß man hier eine Falle für ihn aufgebaut hatte.
Ein Anruf hatte ihn vor zwanzig Minuten in seiner Villa in Döbling erreicht. Ein Mann, der sich Otto Baumann nannte, sagte: »Ich bin auf eine heiße Spur gestoßen, Herr Rodensky.« Baumann erzählte, daß er Reporter von Beruf sei. Er nannte den Namen der auflagenstärksten Tageszeitung Österreichs, für die er schrieb.
»Und?« sagte Vladek Rodensky, der Brillenfabrikant. »Erwarten Sie, daß ich Sie zu Ihrem Erfolg beglückwünsche?«
Baumann lachte. »Nein. Ich rufe Sie an, weil ich weiß, daß Sie die Sache brennend interessieren wird.«
»Wie kommen Sie auf die Idee? Ich stelle Brillen her… Ihre Sensation lese ich morgen in der Zeitung.«
»Oh, ich weiß nicht, ob ich darüber etwas bringen kann. Mein Chefredakteur könnte denken, ich will die Leser auf den Arm nehmen, wenn ich von Grauen und Horror berichte.«
Vladek Rodensky horchte auf. »Was sagen Sie da?«
Baumann lachte wieder. »Na, Herr Rodensky? Sind Sie immer noch nicht interessiert?«
»Worum geht es konkret?«
»Tja, wenn ich das so genau wüßte. Ich bekam einen Tip. Es war von finsteren Mächten die Rede, von einer echten Gefahr, verstehen Sie? Ein anonymer Anrufer legte mir nahe, ich solle mich darum kümmern. Ich möchte das aber nicht allein tun. Mir ist bei der Geschichte nicht ganz geheuer, deshalb erhoffe ich mir von Ihnen Unterstützung. Kommen Sie mir jetzt nicht damit, Sie wären bloß Brillenfabrikant. Mir ist bekannt, daß Sie auch auf einem ganz anderen Gebiet tätig sind.«
»So? Auf welchem denn?«
»Wie gefällt Ihnen die Bezeichnung: Vladek Rodensky, der Dämonenjäger?«
»Woher haben Sie das?«
»Die Pflicht eines jeden guten Reporters ist es, informiert zu sein«, sagte Baumann. »Was ist nun? Kann ich mit Ihrer Unterstützung rechnen?«
»Ich weiß immer noch nicht, worum es geht.«
»Vielleicht kann ich Ihnen mehr sagen, wenn wir uns treffen.«
»Wo?«
»Kennen Sie die Restaurant-Bar auf dem Kobenzl?«
»Diese schäbige Bruchbude?«
»Ja, kommen Sie dort hin. Ich werde Sie erwarten. Kommen Sie schnell. Wie gesagt, die Angelegenheit ist mir nicht ganz geheuer. Wenn man zu zweit ist, ist die Angst nur noch halb so groß. Ja, ich geb’s unumwunden zu: Ich habe Angst.«
»Warum lassen Sie dann nicht die Finger von der Sache?« fragte Vladek Rodensky.
»Ich wäre kein guter Reporter, wenn ich das täte«, erwiderte Otto Baumann. »Also auf dem Kobenzl.« Er hängte ein.
Vladek holte seine Schulterhalfter aus der Kommode und schnallte sie sich um. Er prüfte, ob die Mauser voll geladen war, verließ seine Villa wenige Minuten nach dem Anruf, setzte sich in seinen schwarzen Rover, fuhr los – und nun war er hier…
Er stand vor der offenen Tür, die Pistole in der Hand, und spürte eine Gefahr, die sich nicht definieren ließ. Er täuschte sich bestimmt nicht. In der Dunkelheit dieses leeren Lokals lauerte etwas.
Einen
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