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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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Unterstützung durch einen der Brüder gebeten. Seit Adam in Amerika lebte und im Geschäft seines Bruders mitarbeitete, schrieben er und Grace sich regelmäßig. Schließlich hatte sie ihn mit geschickten Anspielungen so weit gebracht, dass er sie fragte, ob sie seine Frau werden und zu ihm nach Ohio kommen wolle, wo sie zusammen mit Matthew und Abigail das Geschäft betreiben würden.
    Die Brights hatten sich über die Wahl ihrer Tochter gewundert, und auch Honor hatte damit gerechnet, dass ihre Schwester einen lebhafteren Mann heiraten würde. Doch Grace war so begeistert von der Aussicht, in Amerika zu leben, dass sie die Reserviertheit ihres zukünftigen Ehemanns dafür gern in Kauf nahm.
    Grace hatte eine Engelsgeduld und vielleicht auch ein schlechtes Gewissen, weil sie die Schwester wochenlanger Seekrankheit ausgesetzt hatte, aber als es Honor gar nicht besser gehen wollte, wurde es selbst ihr zu viel. Da Honor ohnehin nichts länger als ein paar Minuten bei sich behielt, hörte Grace nach ein paar Tagen auf, sie zum Essen zu ermuntern. Immer öfter ließ sie die Schwester in der Kabine allein, um übers Deck zu schlendern oder sich zu den anderen Frauen an Bord zu setzen, die gemeinsam nähten und plauderten.
    Einmal versuchte Honor, Grace zu einer Andacht zu begleiten, die einige Quäker-Freunde unter den Mitreisenden organisiert hatten. Doch als sie mit ihnen in der Stille einer engen Kabine saß, konnte sie ihre Gedanken nicht loslassen und innerlich leer werden, weil sie befürchtete, damit auch den letzten Rest an Selbstkontrolle zu verlieren und sich vor den anderen übergeben zu müssen. Schon bald zwangen das Schaukeln des Schiffs und der Aufruhr in ihrem Magen sie, die Kabine wieder zu verlassen.
    Wenn Honor während der zermürbenden Reise von Bristol nach New York zusammengerollt wie eine Garnele in ihrer engen Koje lag oder sich in Brechkrämpfen über dem Nachttopf krümmte, sah sie manchmal ihre Mutter vor sich, wie sie auf dem Kiesstrand von Eype wartete. Dann fragte sie sich, warum sie die Sicherheit ihres Elternhauses jemals verlassen hatte.
    Die Antwort kannte sie jedoch nur zu gut: Grace hatte Honor angeboten, mit ihr nach Amerika zu kommen, weil sie hoffte, ein neues Leben könne das Herzeleid ihrer Schwester lindern. Honor war sitzen gelassen worden, und die Aussicht, weiter in einer Gemeinde zu leben, in der sie nur noch mitleidige Blicke trafen, hatte ihr den Mut gegeben, das Angebot der Schwester anzunehmen, obwohl sie bei Weitem nicht so abenteuerlustig wie diese war. Eigentlich war sie in Bridport immer glücklich und zufrieden gewesen und hatte es nie verlassen wollen, doch nachdem Samuel die Verlobung aufgelöst hatte, ging es ihr wie Grace: Sie konnte gar nicht schnell genug wegkommen.
    Mittlerweile hing in allen ihren Kleidern ein säuerlicher Fleischgeruch, den keine Wäsche mehr herausbekam. Da sie die Mischung aus Ekel und Mitleid in den Gesichtern der anderen Passagiere nicht ertrug, ging Honor ihnen und mit der Zeit sogar ihrer Schwester aus dem Weg. Auf der Leeseite des Decks suchte sie sich einen Platz zwischen zwei Fässern, an dem sie vor den Blicken arbeitender Matrosen und neugieriger Mitreisender geschützt war und jederzeit unbemerkt zur nahegelegenen Reling rennen konnte, um sich ins Wasser zu übergeben. Selbst bei Regen und Kälte zog Honor ihr Versteck oben auf dem Deck der winzigen Kabine mit der harten Koje und den übel riechenden Decken vor. Dabei war ihr der herrliche Ausblick auf den weiten Himmel und den unendlichen Ozean – ein Panorama, wie es in keinem größeren Kontrast zu den grünen Hecken und Hügeln von Dorset hätte stehen können – völlig egal. Mochten andere über Sturmwolken und Regenbögen, die im Sonnenlicht silbrig glitzernde See, sich im Wasser tummelnde Delphine oder die Rückenflosse eines Wals in Verzückung geraten, bei Honor erstickte der Stumpfsinn der Seekrankheit jede Verzauberung im Keim.
    Wenn sie nicht gerade über der Reling hing, versuchte Honor, sich mit der Arbeit an einem Patchwork von ihrem krampfenden Magen abzulenken. Ihre Mutter hatte ihr für die Reise viele kleine gelbe und cremefarbene Stoffsechsecke und Papierschablonen ausgeschnitten, die Honor zu Rosetten zusammennähen wollte. Sie hatte gehofft, auf der Reise einen kompletten »Großmutters Blumengarten« fertigzubekommen, doch auf dem

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