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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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die leichteste Überfahrt, die Gott ihr ermöglichen könnte, nicht noch einmal aushalten würde – der Heimweg nach England war ihr versperrt. Sie begann zu weinen. Sie weinte um England, weinte um ihr altes Leben und die Heimat, von der sie ein unüberwindbarer Ozean trennte. Es gab kein Zurück.

Hotel Mansion House
    Hudson, Ohio
    26. des 5. Monats 1850
    Meine liebe Mutter, lieber Vater,
lieber William und lieber George,
    mit unendlich schwerem Herzen muss ich Euch mitteilen, dass unsere geliebte Grace heute verstorben ist. Kurz bevor sie ihr neues Leben in Amerika beginnen konnte, hat es Gott gefallen, sie in so jungen Jahren zu sich zu rufen.
    Ich schreibe Euch aus einem Hotel in Hudson, Ohio, in dem Grace während des letzten Stadiums ihrer Krankheit untergebracht war. Der Arzt sagt, es sei Gelbfieber gewesen, das in Amerika anscheinend weiter verbreitet ist als bei uns in England. Da mir die Krankheit mit ihren Symptomen nicht vertraut ist, bleibt mir nichts anderes, als seine Diagnose zu akzeptieren. Ich musste miterleben, unter welchen Qualen meine Schwester dahinsiechte, und kann nur sagen, dass Dorset sich glücklich schätzen darf, von einem solch grauenhaften Leiden verschont zu sein.
    Von unserer Überfahrt nach New York habe ich bereits berichtet. Ich hoffe, Ihr habt meine Briefe aus New York und Philadelphia erhalten. Wenn ich hier Briefe in die Post gebe, bin ich oft unsicher, ob sie ihr Ziel auch erreichen werden. In New York haben wir unsere ursprünglichen Reisepläne geändert. Statt mit Schiffen über Flüsse und Kanäle von New York bis zum Eriesee und von dort nach Cleveland zu fahren, haben wir die Postkutsche nach Philadelphia genommen und sind von dort durch Pennsylvania nach Ohio gereist. Auch wenn mir immer wieder versichert wurde, dass man die Flussschiffe nicht mit den großen Meeresseglern vergleichen kann, konnte ich mich nicht noch einmal zu einer Reise auf dem Wasser überwinden. Nun befürchte ich, dass Grace für meine Verzagtheit mit dem Leben bezahlen musste, denn auf dem Schiff hätte sie das Fieber vielleicht niemals bekommen. Mögt Ihr mir auch vergeben und Gott Nachsicht mit mir haben – ich werde für immer mit dieser Schuld leben müssen.
    Bis auf einen leichten Anfall von Seekrankheit ging es Grace während der Überfahrt gut. Auch in Philadelphia, wo wir uns eine Woche bei Freunden aufhielten, um uns von den Strapazen der Seereise zu erholen, fühlte sie sich noch sehr wohl. In Philadelphia hatten wir Gelegenheit, eine Andacht in der Arch Street zu besuchen. Niemals hätte ich gedacht, dass es so große Andachtsräume gibt: Der Saal war ungefähr zwanzigmal so groß wie unser Andachtsraum in Bridport, und es müssen gut fünfhundert Menschen in ihm gewesen sein. Ich bin froh, dass es Grace noch vergönnt war, diese Andacht mitzuerleben.
    Auf der Weiterreise in Richtung Ohio konnten wir in Pennsylvania auf ein festes Netzwerk von Freunden zurückgreifen und bei ihnen übernachten. Wir wurden überall willkommen geheißen, in großen Städten wie Harrisburg und Pittsburgh genauso wie in kleineren Gemeinden, selbst dann noch, als Grace die ersten Symptome von Gelbfieber zeigte. Die Krankheit begann zwei Tage, nachdem wir Harrisburg verlassen hatten, mit Fieber, Schüttelfrost und Übelkeit, was auf viele Leiden zutrifft, sodass wir uns anfangs kaum Sorgen machten; auch nicht, als sich Grace in den verschiedenen Kutschen, mit denen wir quer durch Pennsylvania fuhren, zunehmend unwohl fühlte.
    In Pittsburgh haben wir dann einige Tage gerastet, bis sich Grace einigermaßen erholt hatte und zur Weiterreise drängte. Jetzt bereue ich, dass ich auf sie gehört habe, statt mich auf mein Gefühl, dass uns eine längere Ruhepause guttun würde, zu verlassen. Aber wir konnten es beide kaum noch erwarten, endlich nach Faithwell zu kommen. Leider bekam Grace schon nach einem Tag wieder Fieber, das diesmal mit schwarzem Erbrochenem und einer gelben Verfärbung der Haut einherging, dem sicheren Zeichen, wie ich jetzt weiß, dass es sich um Gelbfieber handelte.
    Nur mit Mühe konnten wir die Kutscher überreden, uns nicht am Wegesrand abzusetzen, sondern uns noch bis Hudson mitzunehmen. Ich muss Euch gestehen, dass ich die Männer sogar angeschrien habe, auch wenn sich das für eine Freundin nicht geziemt. Die anderen Passagiere wollten uns nicht bei sich in der Kutsche

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