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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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haben, weil sie Angst hatten, sich anzustecken. Wir mussten uns oben auf die Kutsche aufs Gepäck setzen, was sehr gefährlich war, denn man hätte leicht abstürzen können. Ich habe Grace eng an mich gedrückt und sie festgehalten.
    In Hudson erlebte sie nur noch eine Nacht, dann rief Gott sie heim. Die meiste Zeit delirierte sie im Fieberwahn, doch wenige Stunden vor ihrem Tod war sie noch einmal eine Weile ganz klar und konnte Euch alle ihrer Liebe versichern. Ich wollte sie mitnehmen, um sie in Faithwell unter Freunden zur letzten Ruhe zu betten, aber sie ist bereits heute in Hudson begraben worden, weil alle Angst davor haben, dass die Krankheit sich weiter ausbreitet.
    Da ich Faithwell jetzt schon so nahe bin, habe ich beschlossen, weiterzufahren. Von Hudson sind es nur noch vierzig Meilen in Richtung Westen, was nach den fünfhundert Meilen, die wir von New York bis hierher zurückgelegt haben, und den Tausenden über den Ozean keine Entfernung mehr ist. Es geht mir sehr zu Herzen, dass Grace ihrer neuen Heimat schon so nahe war und sie nun nicht mehr sehen wird. Ich weiß noch nicht, was ich machen werde, wenn ich dort bin. Adam Cox hat die traurige Nachricht noch nicht erhalten.
    Grace hat viel gelitten und es tapfer ertragen, jetzt ist sie in Frieden bei Gott. Ich weiß, dass wir sie eines Tages wiedersehen werden, und das ist mir ein Trost.
    Eure Euch liebende Tochter und Schwester,
Honor Bright

Quilt
    Honor konnte sich nur schwer daran gewöhnen, in allem auf Hilfe angewiesen zu sein. Fremde Menschen beherbergten und verköstigten sie, brachten sie von einem Ort zum anderen und beerdigten sogar ihre Schwester. In England war Honor nie viel gereist. Bis auf kurze Ausflüge in Nachbargemeinden hatte sie nur die Jahrestreffen der Freunde in Exeter besucht und war einmal mit ihrem Vater nach Bristol gefahren, wo er geschäftlich zu tun hatte. In ihrer Heimat kannte Honor fast alle Menschen persönlich und war es nicht gewohnt, sich vorstellen oder erklären zu müssen. Besonders redselig war sie ohnehin noch nie gewesen. Sie zog die Stille vor, in der man besser beobachten und nachdenken konnte. Grace war das lebhafteste Mitglied der Familie Bright gewesen. Dauernd hatte sie etwas zu schnattern gehabt und auch gern das Wort für ihre Schwester ergriffen; doch nun, da Grace nicht mehr war, sah sich Honor gezwungen, für sich selbst zu sprechen. Seit die Kutsche die Brights vor dem Hotel in Hudson abgesetzt hatte, musste Honor ständig allen möglichen Fremden, die sich um sie kümmerten, ihre Lage erklären.
    Nachdem Grace beerdigt war, überlegte Honor, ob sie Adam Cox eine Nachricht schicken und auf ihn warten oder sich auf eigene Faust nach Faithwell durchschlagen sollte. Doch noch bevor sie zu einer Entscheidung kam, lernte sie die praktische und patente Art der Amerikaner kennen, denn der Hotelbesitzer hatte ihr längst eine Mitfahrgelegenheit organisiert. Ein älterer Mann namens Thomas war gerade auf Besuch in Hudson, kam aber aus dem nur sieben Meilen südlich von Faithwell gelegenen Städtchen Wellington. Er bot Honor an, sie auf der Rückreise mitzunehmen. In Wellington könne sie sich dann nach einer weiteren Fahrgelegenheit umschauen oder Adam Cox bitten, sie von dort abzuholen. »Allerdings müssen wir früh aufbrechen«, sagte Thomas, »denn ich will es an einem Tag bis nach Hause schaffen.«
    Es war noch dunkel, als sie sich auf den Weg machten. Honors Truhe stand hinten im Wagen; sie war jetzt noch schwerer, da sie die Sachen von Grace mit hineingepackt hatte. Die Truhe ihrer Schwester hatte Honor zurückgelassen, um Thomas nicht noch mehr Gepäck zumuten zu müssen. Auch den Quilt, den sie für die Hochzeit ihrer Schwester genäht hatte, hatte Honor aufgeben müssen. Es war ein weißer Wholecloth, in dessen Mitte Honor ein feines, von komplizierten geometrischen Bordüren und doppelten Rautenmustern umrahmtes Rosenmedaillon gesetzt hatte. Honor hatte alles eigenhändig gequiltet und war sehr zufrieden mit ihrer Arbeit gewesen. Der Hotelbesitzer hatte jedoch darauf bestanden, dass sie für Graces Krankenlager ihre eigene Bettwäsche benutzten. Später hatte der Arzt dann angeordnet, dass der Quilt zusammen mit allen Kleidern, die Grace getragen hatte, verbrannt werden müsse, damit das Fieber sich nicht weiter ausbreitete.
    Bevor sie das Kleiderbündel zum Verbrennen zusammenschnürte,

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