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Die Entdeckung der Virtualität.

Die Entdeckung der Virtualität.

Titel: Die Entdeckung der Virtualität. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Bernd Flessner
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langen interstellaren Flug zurückgekehrt.
       »Dreiundzwanzig — zweiundzwanzig — einund ...«, tönte es in den Hörern.
       Einmal war es vorgekommen, daß bei Null zwei Lehrgangsteilnehmer zugleich starteten — der richtige und der andere, der noch gar nicht an der Reihe war. Die beiden Raketen schossen im Abstand von zweihundert Metern in die Höhe, es hätte nicht viel gefehlt, Sekundenbruchteile nur, und sie wären zusammengeprallt. So wenigstens wurde es erzählt. Seit diesem Vorfall wurde das Zündkabel erst im letzten Augenblick eingeschaltet, durch Fernsteuerung. Der Flugplatzkommandant tat das von seiner verglasten Navigationszentrale aus — das Zählen war also ein gewöhnlicher Bluff, aber das wußte niemand.
       »Null!« tönte es in den Hörern. Pirx vernahm ein gedämpftes Brausen, sein Sitz erbebte, auf der durchsichtigen Hülle, die ihn umgab, zitterten Lichtreflexe. Er starrte zur Decke, auf den Astrographen, und las die Werte ab — Kühlung, Schubkraft der Hauptund Hilfsdüsen, Neutronenstromdichte, Grad der Verunreinigung durch Isotope und noch achtzehn weitere Werte, von denen sich die Hälfte ausschließlich mit dem Zustand des Boosters befaßte. Das Beben wurde schwächer, die Wand des dumpfen Lärms glitt vorüber, schien oben zu zerfließen, als habe sich ein unsichtbarer Vorhang vor den Himmel gespannt. Auch das Brausen nahm ab, es hörte sich an wie fernes Donnergrollen. Dann wurde es still.
       Etwas summte und zischte — Pirx fand nicht einmal Zeit, zu erschrecken. Die automatische Sicherung hatte die bisher blockierten Bildschirme eingeschaltet — sie waren von außen abgesichert, wenn jemand in der Nähe startete, damit die blendende Flamme des atomaren Rückstoßes die Objektive nicht beschädigte.
       Sehr nützlich, diese automatischen Sicherungen! sagte sich Pirx. Er dachte an dies und das, bis ihm ein Schreck in die Glieder fuhr, ein Schreck, der ihm unter der glockigen Haube die Haare zu Berge stehen ließ. Herrgott, jetzt bin ich ja dran — gleich fliege ich! ging es ihm durch den Sinn.
       Blitzschnell begann er die Hebel für den Start vorzubereiten, das heißt, sie der Reihe nach zu berühren und zu zählen: Eins, zwei, drei — wo ist der vierte? Der dort... Ja... und dann den Zeiger... Das Pedal... Nein, nicht das Pedal ... Die Griffe! Erst den roten, dann den grünen, dann den für den Automaten... So... Oder kommt der grüne vor dem roten...?
        Pilot Pirx auf AMU 27! Seine eigene laute Stimme, die ihm durch die Kopfhörer geradewegs ins Ohr drang, riß ihn aus dem Dilemma. Start nach Phonie im Moment Null!
       Er hätte beinahe »Pilot Boerst« gesagt, so sehr hatten sich ihm die Worte des anderen eingeprägt. »Idiot!« brüllte er sich selbst in der Stille an, die nun herrschte.
       Dann bellte der Automat: Sechzehn — fünfzehn — vier zehn... Müssen eigentlich alle Automaten solche Feldwebelstimmen haben? fragte sich Pirx. Er schwitzte. Krampfhaft versuchte er, sich an etwas Wichtiges zu erinnern. Er wußte, daß dieses Etwas ausschlaggebend war, daß es über Leben und Tod entschied, aber es wollte ihm nicht einfallen.
    ... sechs — fünf — vier...
       Mit feuchten Fingern umklammerte er den Startgriff. Gut, daß er so rauh ist, dachte er. Ob alle so schwitzen? Wahrscheinlich.
        Null! schna rrte es im Hörer.
       Seine Hand zog den Hebel von selbst, ganz von selbst, sie zog ihn bis zur Mitte und hielt ihn fest. Brüllendes Getöse ... Ihm war, als lege sich ihm eine elastische Presse um Kopf und Brust. Der Booster! vermochte er gerade noch zu denken, dann wurde es dunkel um ihn. All das dauerte nur wenige Augenblicke. Als es vorbei war, lastete noch immer der unnachgiebige Druck auf seinem Körper. Auf den Bildschirmen, zumindest auf denen, die ihm gegenüber angebracht waren, sah er eine weiße, brodelnde Masse, die ihn an Milch erinnerte, an Milch, die aus einer Million Töpfen überkocht.
       Aha! sagte er sich. Jetzt stoße ich durch die Wolken... Sein Gehirn arbeitete noch ein wenig träge, aber er war immerhin wieder imstande, ruhig und klar zu überlegen. Er kam sich mit der Zeit völlig unbeteiligt vor, ihm war, als sei er nur noch Zeuge dieser sonderbaren Szenerie. Komisch! dachte er. Da fläzt sich so ein Bursche im »Zahnarztstuhl« herum, rührt weder Hand noch Fuß und dabei ... Die Wolken sind übrigens verschwunden, der Himmel ist blau... Eigenartig, dieses Blau... Wie mit Tusche

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