Die Entdeckung der Virtualität.
Hälfte frieren wir ein, die andere lassen wir sich normal entwickeln. Nehmen wir an, daß aus ihr ein Mensch entsteht, der im Alter von zwanzig Jahren stirbt. Nun tauen wir die andere Hälfte des Eis auf, und nach zwanzig Jahren haben wir »den anderen Zwilling«, von dem man sagen kann, daß er die Fortsetzung des Verstorbenen sei — mit genau der gleichen Berechtigung wie bei der im Synthetisator hergestellten atomaren Kopie. Daß man auf die Entstehung der »Fortsetzung« zwanzig Jahre warten muß, besagt nichts, denn es ist durchaus möglich, daß auch der atomare Synthetisator sich mit der Fertigstellung der atomaren Kopie zwanzig Jahre lang abmühen muß. Betrachten wir nun diesen »anderen Zwilling« als Fortsetzung des verstorbenen und nicht als Doppelgänger von täuschender Ähnlichkeit, dann werden wir mit der künstlich geschaffenen atomaren Kopie genauso verfahren müssen. Dann aber ist jeder normale Zwilling, dessen Entwicklung wir durch Hibernation verzögern, die »Verlängerung« seines Bruders. Da man aber die Dauer der Hibernation beliebig abkürzen kann, stellt sich letzten Endes heraus, daß jeder Zwilling die Fortsetzung des anderen Zwillings ist, und das ist denn doch eine offenkundige Absurdität. Freilich ist der Zwilling nicht eine ideale molekulare Kopie des »Originals«. Gleichwohl ist die Ähnlichkeit zwischen den beiden Zuständen eines und desselben Menschen, in denen er zunächst acht und dann siebzig Jahre zählt, mit Sicherheit geringer als die Ähnlichkeit zwischen Zwillingen. Trotzdem wird jeder zugeben, daß das Kind und der Greis eine und dieselbe Person sind, was man von zwei Brüdern nicht sagen kann. Ausschlaggebend für die Kontinuität des Daseins ist somit nicht die Menge der übereinstimmenden Information, sondern die Genidentität (das heißt genetische Identität) der im Laufe des Lebens sogar bedeutenden Veränderungen unterliegenden dynamischen Struktur des Gehirns.
Die Phantomologie II
Der fiktiven Technologie — durch die Bezeichnung »Phantomologie« umschrieben — hatte ich in der »Summa technologiae« 70 Seiten gewidmet, in der ersten Version des vorliegenden Buches standen dazu ganze zwei Sätze; denn sie war - als ein Thema der Phantastik — eine fast leere Menge. Die Situation hat sich jedoch in den letzten Jahren geändert. Daher muß man sich mit ihr auseinandersetzen, und gerade hier, denn die Phantomologie stellt — obwohl sie nichts zur Erke nntnis der Welt beiträgt — dennoch eine totale, wenn auch vorläufig imaginierte Änderung der Erke nntnistheorie dar. Eine Einführung in diesen Tatbestand scheint notwendig. Da ich den Leser nicht ständig auf die »Summa technologiae« verweisen noch mich wiederholen möchte, will ich alles Wichtige möglichst kurz vorzutragen versuchen.
Lassen wir in einer Welt, die für ihre Bewohner die einzige Wirklichkeit ist, eine Technik entstehen, die es ermöglicht, diese Wirklichkeit durch eine vollkommene Illusion zu ersetzen. Prototyp könnte z. B. eine Maschine sein, die mit einem individuellen Gehirn rückgekoppelt ist. Das Gehirn ist ausschließlich auf Impulse angewiesen, die die Maschine ihm zuleitet. Diese gestalten das Bild der äußeren Welt so, wie es im Gedächtnis der Maschine gespeichert wurde. Eine solche Technik nennen wir Phantomatik. Der wichtigste Unterschied zwischen der Phantomatik und den anderen, uns bekannten Formen der Illusion liegt in dem Feedback zwischen dem Gehirn und der Informationsquelle, d.h., der Kreis der fiktiven Realität ist nicht zu unterbrechen. Diese Fiktion ist eine von »der wahren Wirklichkeit der Existenz« trennende und nicht abreißbare Maske - zumindest k önnte sie eine solche Maske sein.
Die Phantomatik ist eine Technik, die Phantomologie hingegen eine Disziplin, die der Erforschung a ller Konsequenzen, die sich aus der Anwendung eben jener Technik ergeben, gewidmet ist.
Die Phantomatik stellt ein metatechnisches und sogar metakulturelles Problem dar: wenn die Phantomatik verwirklicht ist, dann rüttelt sie an dem Grundproblem der klassischen Philosophie gerade dort, wo dieses Problem mehr als zweitausend Jahre bewegungslos ruhte und das gerade deshalb in seiner Unveränderlichkeit ewig zu sein schien.
Die Sache reduziert sich auf das Feststellen des faktischen Zustandes. Wir wissen, daß es in der Welt der atomaren Mikroerscheinungen eine nicht zu beseitigende Unschärfe-Marginale gibt. Zugleich wissen wir, daß es in der
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