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Die Entdeckung der Virtualität.

Die Entdeckung der Virtualität.

Titel: Die Entdeckung der Virtualität. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Bernd Flessner
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können studieren, Ausflüge machen, sich auf herrlichen, menschenleeren Inseln aufhalten, ausgefallene Sex-Orgien feiern, in alten Bibliotheken stöbern, das Leben der Bienen erforschen, bildhauern, malen usw. — ohne Ende. Doch zwei Dinge verleiden ihnen diese Freuden: sie müssen sich regelmäßig bei ihrem Auditor »melden«, der ihren geistig-seelischen Fortschritt kontrolliert; außerdem ist es ihnen nach Annahme der phantomatischen Körper — aus vom Autor überhaupt nicht erklärten Gründen — nur in Ausnahmefällen erlaubt, gemeinsam an den arrangierten Visionen teilzunehmen. Weil der Autor selbst nicht weiß, warum eigentlich den »Cerebromorphen« das Recht auf »phantomatische Kommunion« nicht zuteil wurde, verstrickt er sich an dieser Stelle in Erklärungen, die nicht nur lakonisch, sondern auch widersprüchlich sind. Den Mittelpunkt des Erzählten, das nacheinander um das Schicksal von vier verschiedenen »Cerebromorphen« oszilliert, bildet die »Meuterei« des Ubu Itubi. Dieser, auf der niedrigsten Etage »deponiert«, wagt eine »Flucht« aus dem Depositorium, nachdem er sich eines AufseherAutomaten bemächtigt hatte. Die Flucht gelingt; der »Gesundbeter« eines in der irdischen Utopie lebenden Urstammes verpflanzt sein Gehirn in einen natürlichen Körper. Doch Ubu, nun schon restituiert und Körper einer Menschengruppe, erschlägt aus Eifersucht und infolge eines Mißverständnisses einen anderen Menschen und kommt elendig um. Erneut »cerebrektomiert«, »auf die tiefste Stufe des Depositoriums geworfen«, wird er schließlich — sogar als Gehirn — »strafgerichtlich liquidiert«.
    Der Nonsens dieses Romans — den übrigens ein
    Rezensent des Buches aufdeckte (Newsweek, November 1971) — besteht in folgendem: wenn sich die den »Cerebromorphen« zugänglichen phantomatischen Erlebnisse durch nichts von den realen Erlebnissen unterscheiden (die dazu erst nach Jahrhunderten von Jahren »cerebromorphierender« Existenz dank »langsamer Beförderungen« erreichbar sind), dann versteht man nicht, warum eigentlich die ultimative Reinkarnation ihrer aller Wunschtraum sein soll? Mehr noch: wenn man dann endlich der »Reinkarnation« unterliegt, führt man ein an Attraktionen nicht allzu reiches Leben in einer primitiven Gruppe; das Leben endet mit dem natürlichen Tod aus Altersgründen, weil die »Primitiven« sich gleichsam vor allem ekeln, was nach Technologie riecht; als »Cerebromorph« hingegen ist man unsterblich und hat alle nur vorstellbaren Inkarnationen und Metamorphosen vor sich.
       Dies ist so zu erklären: der Autor wollte etwas anderes, als ihm tatsächlich gelang. Seine Ideologie ist leicht zu rekonstruieren. Es ist jene, für gewisse subkulturelle Strömungen in der heutigen jungen Generation der USA typische Mischung aus der Sehnsucht nach »Rückkehr zur Natur« und aus dem Ekel vor der Technologie, wie vollkommen sie auch sein mag, sowie aus der Feindschaft gegen die hervorragend geölte und unpersönliche Verwaltungsmaschinerie. Die »Rückkehr zur Natur«, das ist die irdische »Utopie« von schönen, starken, subtilen, schweigsamen »Primitiven«. Der Ekel vor der Technologie äußert sich in der den Leser ermüdenden detaillierenden Beschreibungswut all jener Vorgänge, denen die »Cerebromorphen« in den »Waben« des computerisierten Bienenstocks — mit dem das gigantische Depositorium vergleichbar ist — unterworfen sind. Und das »Establishment« selbst findet seine Karikatur in der Hierarchie der Kastenbeziehungen, in den AufseherAuditoren (die ihrerseits jeweils ihre Vorgesetzten
    Auditoren haben usw.).
       Dies wollte der Autor. Doch die phantastische Technik, die sich hier geradezu aufdrängte, fiel ihm - irgendwie seitwärts — in die Parade. Die ungewöhnlich angenehmen Dinge, die der mehr als 100 Jahre alten Schauspielerin tschechischer Abstammung Vera Mitlovic zusammen mit anderen »Cerebromorphen« auf einer Koralleninsel widerfahren (weil sie in jenen Visionen als schönes Mädchen und nicht als alte Frau auftritt), sind — gemäß der Relation des Autors — nicht im mindesten besser oder schlechter als die Freuden, die der Flüchtling aus dem Depositorium schließlich unter den natürlichen Menschen, besonders mit den Frauen, erleben kann. Der Unterschied besteht allein darin, daß die Cerebromorphen alles, was zu erleben ist, »in Wirklichkeit« in ihren Weckgläsern, in ihren elektrolytischen Bädern erleben, während die »Reinkarnierten«

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