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Die Entdeckung der Virtualität.

Die Entdeckung der Virtualität.

Titel: Die Entdeckung der Virtualität. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Bernd Flessner
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oder das Perpetuum mobile? Aber auch das stimmt nicht. Liefert uns nicht die Natur im Falle der eineiigen Zwillinge überaus exakte Kopien eines menschlichen Organismus? Gut, solche Zwillinge sind hinsichtlich der atomaren Struktur nicht völlig identisch. Aber das liegt unter anderem daran, daß die Evolution mit ihrer selektiven Technologie niemals das Ziel verfolgte, eine absolute Ähnlichkeit dieser Struktur zu schaffen, denn das war unter biologischem Aspekt vollkommen gleichgültig und überflüssig. Wenn aber eine so weitgehende Ähnlichkeit zwischen Systemen von so hohem Komplexitätsgrad gleichsam beiläufig und zufällig erreicht wurde (denn Elemente des Zufalls spielen bei der Entstehung von Zwillingen, bei der ersten Teilung des befruchteten Eis, eine nicht geringe Rolle), dann wird sich die mit der Kybernetik verbündete Biotechnologie der Zukunft gewiß zutrauen dürfen, diesen Erfolg, an dem die Natur nur einen zufälligen Anteil hat, zu übertreffen.
       Um unsere Darlegungen zu vervollständigen, müssen wir noch die Möglichkeit erörtern, daß der lebende Organismus durch die atomare Bestandsaufnahme selbst zerstört wird. Dieser Sachverhalt würde einige Paradoxa ausräumen (z. B. das Paradoxon des möglichen Nebeneinanderbestehens von »Fortsetzung« und Original) und könnte zur Grundlage der Behauptung werden, daß es im Grunde nicht anders sein könne, daß also ein solches Nebeneinanderbestehen lediglich denkbar, aber eine unrealisierbare Fiktion sei. Das ist der Grund, warum wir der ganzen Angelegenheit ein wenig mehr Beachtung schenken. Stellen wir uns vor, zu unserer Verfügung stünden zwei Apparaturen zum Telegrafieren von Menschen, eine Apparatur S und eine Apparatur Z. Die Apparatur S schont denjenigen, den wir durchtelegrafieren wollen, anders gesagt, bleibt der Mensch, nachdem die gesamte Information über seine atomare Struktur gesammelt wurde, vollkommen unversehrt. Die Apparatur Z funktioniert derart, daß sie mit dem Sammeln der Information gleichzeitig die atomare Struktur des Untersuchten zerstört, und somit verfügen wir nach beendeter Aufzeichnung außer über den Gesamtbestand an struktureller Information noch über einen toten Menschen bzw. dessen pulverisierte Überreste. Dem sei noch hinzugefügt, daß in beiden Fällen die gewonnene Information quantitativ gleich ist, das heißt, sie ist vollständig und ausreichend, um nach telegrafischer Übermittlung an eine Empfangsstation einen identischen Menschen nachzubilden.
       Die schonende Apparatur vom Typ S ist subtiler, damit auch komplizierter und wird historisch gewiß später entstehen, da sie eine weiter fortgeschrittene Technologie erfordert als die zerstörerische Apparatur Z. Trotzdem wollen wir uns zuerst mit der Apparatur S befassen. Ihr Funktionsprinzip ist das der »Punktierung«, des Führungsstrahls, ungefähr so wie bei der Bildröhre des Fernsehgeräts. Ein von der Apparatur ausgeschickter Strahl wandert über den Körper des Untersuchten. Jeder Zusammenstoß des Strahls mit einem Atom oder einem Elektron wird sofort im Gedächtnis der Apparatur notiert, da der Strahl über jedes Materieteilchen »stolpert«. Die Atome, welche die äußeren Schichten des Körpers bilden, werden nach der Aufzeichnung ihrer Lage für den Strahl gleichsam durchsichtig. Damit das möglich ist, darf es sich natürlich nicht um einen materieförmigen (korpuskularen) Strahl handeln. Gehen wir davon aus, daß es sich gar nicht um einen solchen Strahl handelt, sondern einfach um den Anlegepunkt von elektromagnetischen Feldern, die wir so zu steuern vermögen, daß sie sich überschneiden. Wenn sie auf nichts als Leere stoßen, bleiben die Zeiger der Apparatur unbewegt. Befindet sich dort, wo diese Felder verlaufen, ein Atom, so entsteht eine von seiner Masse abhängige Wechselwirkung, die den Wert der Felder verändert, und die Zeiger schlagen aus, was in einem entsprechenden »Gedächtnis«System registriert wird. Die Apparatur registriert zugleich die raumzeitliche Stelle der Ablesungen, ihre Reihenfolge usw., bis wir nach 10 20 Einzelablesungen, die natürlich mit einer Geschwindigkeit von einer Million je Sekunde ablaufen, die gesamte Information über die Lage sämtlicher Atome des Körpers, anders gesagt, über seine materielle Konfiguration, aufgezeichnet haben. Die Apparatur ist derart empfindlich, daß sie auf ein ionisiertes Atom anders reagiert als auf ein nicht ionisiertes, und wiederum anders auf ein Atom, das

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