Die Entdeckung des Higgs-Teilchens: Oder wie das Universum seine Masse bekam (German Edition)
Elektronen exakt gleich stark geladen? Ein Proton besteht aus drei Quarks, ein Elektron hingegen wird als Punktteilchen angenommen, und trotzdem passen sie perfekt zusammen. Wie kann das sein? Warum kommen Quarks und Leptonen in drei Generationen vor, und woher stammen sie letztendlich?
Zu viele solcher Fragen lassen sich nur schlecht oder gar nicht mit den Mitteln der Physik beantworten. Das moderne physikalische Weltbild arbeitet mit abstrakten Definitionen, Zahlen und Relationen. Seine Antworten und Erklärungen können daher als sehr unbefriedigend und unvollständig empfunden werden.
Nichtsdestotrotz liefert uns die Naturwissenschaft atemberaubende Erkenntnisse: Der Higgs-Mechanismus verleiht den Quarks und Leptonen ihre Ruhemasse. Später im Buch werden wir sehen, dass zu diesem Mechanismus unser Higgs-Teilchen und ein sogenanntes Higgs-Feld gehören. Genau genommen ist es das Higgs-Feld, das die Ruhemasse der Materiebausteine erzeugt. Wie es das exakt macht, ist noch nicht geklärt – wir wissen jedoch, dass es seine Arbeit ziemlich gut verrichtet. Würde das Higgs-Feld den Quarks nur einen kleinen Bruchteil weniger oder mehr Masse verleihen, so wäre intelligentes Leben im Universum niemals möglich gewesen!
Abbildung 11: »Die Form des Himmels« nach Camille Flammarion. Kolorit: Hugo Heikenwaelder. »Ein naiver Missionar des Mittelalters erzählt sogar, dass er auf einer seiner Reisen auf der Suche nach dem irdischen Paradiese den Horizont erreichte, wo der Himmel und die Erde sich berühren, und dass er einen gewissen Punkt fand, wo sie nicht verschweißt waren, wo er hindurch konnte, indem er die Schultern unter das Himmelsgewölbe beugte …« (Camille Flammarion: L’Atmosphère , Paris 1888, Seite 162).
© Getty Images, München
Sämtliche Naturkonstanten des Universums sind dermaßen fein »auf Leben eingestellt«, dass selbst kleinste Änderungen an nur einer einzigen von ihnen unsere Welt sofort in einen unbewohnbaren Ort verwandeln würden. Es ist höchst beeindruckend, welch allumfassende haargenaue Feinabstimmung im Universum beobachtet werden kann. Es ist so spannend wie bitter, dass der Grund dafür unbekannt ist und vielleicht auch immer unbekannt bleiben wird.
Treffen sich zwei Protonen …
Judith Selig
Wir befinden uns in der malerischen Schweiz an der Grenze zu Frankreich. Hier, in der Nähe von Genf, liegt das kleine, unscheinbare Städtchen Meyrin. Auf den ersten Blick nichts Besonderes. Niemand würde vermuten, dass hier die schnellste Rennbahn der Welt zu finden ist. Gebaut wurde sie von der Europäischen Organisation für Kernforschung, CERN ( C onseil E uropéen pour la R echerche N ucléaire), und sie hat die Anlage gut versteckt. Genauer gesagt: vergraben. Die Rennstrecke befindet sich gut hundert Meter unter der Erde. Es ist ein Rundkurs mit einer Länge von fast 27 Kilometern. Die Bahn besteht aus acht Kreisbögen, zwischen die man acht gerade Stücke gesetzt hat. Sie ist also kein perfekter Kreis.
So etwas ist nicht ganz billig. Fünf Milliarden Schweizer Franken hat das Projekt gekostet, das sind etwa drei Milliarden Euro. Für so viel Geld kann man mehr als nur eine Rundstrecke unter die Erde schaffen. Zum Beispiel den größten Kühlschrank der Welt. Dazu braucht man noch 40000 Leitungen, von denen keine einzige auch nur das kleinste Leck haben darf, denn durch sie fließen 120 Tonnen flüssiges Helium als Kühlmittel. Damit befindet sich dort auch der kälteste Ort im ganzen Universum.
Mithilfe des Heliums wird der gesamte Komplex auf –271 °C (2 Kelvin) abgekühlt, das sind gerade einmal zwei Grad über dem absoluten Nullpunkt. Die kleinste Temperatur, die überhaupt erreicht werden kann, beträgt –273 °C (0 Kelvin). Im Weltall hat es dagegen im Durchschnitt noch lauschige –270 °C (3 Kelvin). Einen Namen braucht das Ganze natürlich auch noch. Man nennt es L arge H ardron C ollider (LHC), zu Deutsch: Großer Hadronen-Speicherring.
Da stellt sich die Frage: Wer oder was bewegt sich auf dieser unterirdischen Bahn in so einer Eiseskälte? Die Antwort: Protonen, also die positiv geladenen Kerne von Wasserstoffatomen. Wenn sie ihre maximale Geschwindigkeit erreicht haben, bewegen sie sich mit 99,9999991 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Das bedeutet, dass die Protonen pro Sekunde 11245 Runden auf dem Kurs drehen. Wie gesagt, es ist die schnellste Rennbahn der Welt.
Bei diesen hohen Geschwindigkeiten geben Physiker lieber die Energie der Teilchen als deren
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