Die Entdeckung des Higgs-Teilchens: Oder wie das Universum seine Masse bekam (German Edition)
Geschwindigkeit an. Das hat mit der Speziellen Relativitätstheorie zu tun. Diese besagt, dass sich nichts, was eine Masse hat, mit 100 Prozent Lichtgeschwindigkeit bewegen kann. Man kann also unendlich viel Energie in ein Proton stecken, es wird aber nie Lichtgeschwindigkeit erreichen. Deswegen ändert sich bei hohen Energien die Geschwindigkeit nur noch minimal. Ein Proton mit einer Energie von 450 Gigaelektronenvolt (GeV) bewegt sich mit 99,9997828 Prozent, eines mit einer Energie von 7000 GeV (7 TeV) mit 99,9999991 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Ein Elektronenvolt (eV) ist die Energie, die ein Proton oder ein Elektron erhält, wenn es eine Spannung von 1 Volt durchläuft.
Zurück zum LHC: Zuerst werden die Protonen durch mehrere kleinere Ringe geschickt, in denen sie auf ihre endgültige Geschwindigkeit beschleunigt werden. Dann erst dürfen sie in den großen Tunnel. Dort laufen zwei Teilchenstrahlen in gegenläufiger Richtung im Kreis und werden an bestimmten Stellen zur Kollision gebracht. 9593 Magnete sind nötig, um die Teilchen auf ihren Bahnen zu lenken und zu fokussieren.
Natürlich muss verhindert werden, dass die Protonen mit anderen Teilchen zusammenstoßen und so wieder abgebremst werden. Deshalb wird in der Röhre ein Vakuum erzeugt, indem die ganze Luft aus dem Parcours herausgepumpt wird. Dann befinden sich in den Beschleunigerringen weniger Teilchen als im Raum zwischen den Planeten. Es ist also nicht nur der kälteste, sondern auch der leerste Ort unseres Sonnensystems.
Die Protonen erhalten durch die Beschleunigung eine maximale Energie von 7 TeV (Teraelektronenvolt). Prallen zwei Strahlen mit dieser Energie aufeinander, so hat man eine Kollisionsenergie von 14 TeV. 1 TeV entspricht in etwa der Bewegungsenergie einer Mücke im Flug. Das klingt erst einmal nicht nach besonders viel. Selbst wenn man in die Hände klatscht, erzielt man höhere Kollisionsenergien. Die Auswirkungen sind aber anders, weil sich die Energie auf die gesamte Handfläche verteilt. Bei der Protonenkollision ist die Energie hingegen viel konzentrierter. Das kann man sich leicht vor Augen führen, indem man sich den Schmerz beim Händeklatschen vorstellt und mit demjenigen vergleicht, wenn man mit gleicher Kraft auf eine Nadelspitze haut.
Am LHC ist die Energie der Protonen auf einen Bereich konzentriert, der ungefähr eine Billion Mal kleiner ist als eine Mücke. So lassen sich ganz andere Ergebnisse erzielen, als wenn zwei Mücken gegeneinanderfliegen. Diese Energien wurden vorher von keinem anderen Beschleuniger erreicht.
Die Protonen durchlaufen den LHC nicht einzeln, sondern in Teilchenstrahlen. Jeder Strahl besteht aus fast 3000 Teilchenpaketen, von denen jedes etwa 100 Milliarden Protonen enthält. Die maximale Gesamtenergie jedes Strahls beträgt etwa 350 Millionen Joule. Diese Energie würde genügen, um einen 400 Tonnen schweren ICE auf eine Geschwindigkeit von 150 Kilometer pro Stunde zu beschleunigen oder 500 Kilogramm Kupfer zu schmelzen. Insgesamt kann ein Teilchenstrahl bis zu zehn Stunden im großen Speicherring verbleiben. Dabei überwinden die Protonen eine Strecke von 10 Milliarden Kilometern. Das ist etwa so weit wie einmal zum Planeten Neptun und zurück. Pro Tag werden nur zwei Milliardstel Gramm Wasserstoff beschleunigt. Ein Gramm Wasserstoff reicht also aus, um den LHC eine Million Jahre zu betreiben.
Alternativ kann der LHC auch Blei-Ionen beschleunigen. Sie bestehen aus vielen Protonen und Neutronen und sind deshalb auch um ein Vielfaches schwerer als Protonen. So lässt sich eine noch größere Kollisionsenergie von bis zu 1150 TeV erreichen. Bei einer Blei-Blei-Kollision entstehen Temperaturen von zehn Billiarden °C. Das ist 100000 Mal heißer als die Sonne. Damit ist der LHC gleichzeitig der heißeste und der kälteste Ort unserer Galaxie.
Bleibt noch die Frage: Wozu der ganze Aufwand?
Das Standardmodell der Teilchenphysik, in dem alle Elementarteilchen und Wechselwirkungen zusammengefasst sind, gibt noch einige Rätsel auf, die am LHC geklärt werden sollen. So weiß man nicht, woher die Teilchen ihre Masse haben und warum einige sehr schwer und andere hingegen masselos sind. Das Higgs-Modell könnte diesbezüglich Licht in die Dunkelheit bringen. Deshalb wird am LHC nach dem Higgs-Boson gesucht, dessen Existenz die Theorie beweisen würde.
Im Standardmodell fehlt zudem noch eine einheitliche Beschreibung aller Kräfte. Ein großer Schritt auf dem Weg dorthin wäre eine Bestätigung
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