Die Entdeckung des Lichts
Die Armee der Österreicher, hunderttausend Mann stark, hatte es am nächsten Morgen ganz entschieden geheißen, »existiert nicht mehr«.
In der Buchbinderei war nichts anders als sonst, als Faraday mit eingezogenem Kopf, langen Armen und schleifendem Schritt zur Arbeit kam. Riebau kaute ein kaum hörbares »Guten Morgen« heraus, die beiden anderen Jungen waren schon da und ließen nicht von ihrem Handwerk ab. Niemand wollte darüber sprechen. Im Laufe des Tages machte sich Faraday hart, arbeitete schneller, auf einem Gang genoss er den Regen auf der Stirn. Er lief sich die Wut aus dem Leib, war am Abend schneller mit allem fertig als sonst. Er hatte kaum mit jemandem gesprochen, nichts gegessen.
»Preußen zögert«, schrieben die Zeitungen am nächsten Morgen, sich mit fetten Lettern überbietend.
»Er wird wohl hierherkommen«, meinte am Abend Margaret: »früher oder später kommt er auch hierher.«
Als die Kerzen ein weiteres Mal gelöscht waren, war es Faraday eigenartig erschienen, ein Fenster im Zimmer zu haben, und er fand es nicht selbstverständlich, dass Glas im Fensterrahmen war, dass der Fensterflügel aufstand und dass Luft durch den Spalt wehte. Sie brachte die Geräusche der Stadt mit sich: ein heulender Hund, ein Betrunkener, seine schimpfende Frau, der Regen. Wie selbstverständlich war es noch, dass sein Bruder im anderen Bett lag und schlief?
Drei Tage vergingen so.
Dann hatten sie geschrieben, Nelson habe die kombinierte Flotte zerstört, es hieß: angeblich . Nichts war sicher. Noch gestern hatte es wieder geheißen, für nur fünfhundert tote Franzosen habe Buonaparte dreiundachtzigtausend Österreicher gefangen genommen. Dreiundachtzigtausend.
Aber jetzt – so wie der Laufbursche in Riebaus Tür stand, mit steifem Oberkörper, mit noch immer aufgerissenen Augen und noch immer heftig atmend, während alle anderen die Luft anhielten – war alles klar.
Endlich sagte er: »Nelson ist tot.«
Er wusste die letzten Dinge, die Kapitän Sykes berichtet hatte. Sykes war zeitgleich mit Leutnant Lapenotiere bei der Admiralität eingetroffen. Sie waren direkt von Trafalgar gekommen, einem Zipfel Europas draußen im Atlantik, vor dem Nelson die Franzosen und Spanier auf dem Weg ins Mittelmeer endlich hatte stellen können.
»Er hat unsere Flotte in zwei getrennten Linien auf die Franzosen zufahren lassen«, berichtete der Laufbursche atemlos. Ein Leser hatte es ihm beim Zurückgeben der Zeitung auf die Schnelle erklärt und ihn gemahnt, bloß diese Zeitung herumzutragen, so fix er es vermochte, und allen Nichtlesern zu erzählen, was er nun wusste: Auf dass er Gott und dem König gefalle!
»Mit dieser Formation seiner siebenundzwanzig Schiffe hat Nelson die Linie der dreiunddreißig gegnerischen durchtrennt«, berichtete er und machte dazu Bewegungen mit den Händen, die nicht zu seinen Erklärungen passten. Die Erklärungen waren besser.
Faraday las selbst in der Zeitung, die er dem Jungen abgenommen hatte, dass Nelson, wo Unterzahl war, auf kleinem Raum für kurze Zeit Überzahlen geschaffen hatte und damit genügend Zeit gewann, um sich die Schiffe nacheinander mit schneller Schussfolge vorzunehmen.
Und er hatte noch manchen kühnen, heroischen, die englische Seele beglückenden Satz gesagt. In den kommenden Tagen gelangten sie mit hundert Umständen in zahllosen Berichten und Gesprächen, die sich nur unwesentlich widersprachen, an Faradays Ohren. Mühelos setzte sich sein Vorstellungsvermögen in Gang. Teils geschah das, wenn er in der Werkstatt beschäftigt war und die mit Riebau redenden Kunden ihn nicht bemerkten. Teils las er die Neuigkeiten auch, wenn Riebau abends die ausgelesenen, zerfledderten und überholten Zeitungen vom Tag oder Vortag in die Ecke legte. Riebau ließ ihn spätabends im Hinterzimmer Versuche von Davy nachstellen, und manchmal durfte Faraday anschließend die alte Zeitung sogar mitnehmen. Er las sie dann nachts.
Kapitän Sykes, das teilte die Times am 7. Oktober, dem Tag nach der Ankunft der beiden Seemänner, pikiert mit, war gar nicht dabei gewesen. Er hatte Leutnant Lapenotiere bloß gesprochen, als der mit seinem bermudischen Schoner Pickle direkt vom Kampfplatz kam. Sykes wusste alles nur aus zweiter Hand. Die Presse und ganz London sortierten ihn sofort aus.
Den Erzählungen Lapenotieres und jenen über ihn hörte man allerorts atemlos zu. Auch im Vorraum Riebaus gab es kaum ein Gespräch, das sich nicht um ihn drehte. Faraday erfuhr, dass die Pickle
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