Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entdeckung des Lichts

Die Entdeckung des Lichts

Titel: Die Entdeckung des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Bönt
Vom Netzwerk:
Moment, in dem er losließ, kurz nach draußen gegangen, um Teewasser aufzusetzen. Später kamen die Kinder, setzten sich und weinten. Michael Faraday war neunzehn und würde ab jetzt zu dem Gefühl des Zerbrechlichen das des Zerbrochenen gesellen. Er war entschlossen, es nicht in den Vordergrund geraten zu lassen. Er glaubte ebenfalls, dass alles einen Sinn habe.
    Nach der Arbeit ging er fast täglich zu seinem Freund Benjamin Abbott, der eine ausgiebige Schulbildung genossen hatte und als Prokurist arbeitete. Sie kannten sich von den naturphilosophischen Vorträgen des Silberschmieds John Tatum in der Dorset Street. Auf Zetteln, die in den Straßen aufgehängt waren, und auf Plakaten in den Fenstern der Geschäfte in der Nachbarschaft des Salisbury Court, unten an der Fleet Street, nur ein paar Minuten von der Kapelle der Sandemanier in Paul’s Alley entfernt, hatte Faraday immer wieder von den Vorträgen gelesen. Es werde über Flüssigkeiten geredet, ließen die Ankündigungen ihn wissen, über Optik, Geologie, Mechanik, Chemie, über Astronomie und Meteorologie!
    Diese Wörter arbeiteten in ihm, wenn er sie nicht sah, während der Arbeit, beim Nachhausegehen, auch beim Einschlafen. Verheißungen waren es, Versprechungen, Möglichkeiten des Übertritts. Deshalb traute er sich lange nicht. Beim Aufwachen, wenn er sich wiederfand, waren sie da: »Kommst du?«
    Herzklopfen.
    Verstimmung deswegen, Unterlegenheitsgefühle.
    Unwillen gegen sich selbst.
    »Na, komm schon.« Er? Doch nicht er. »Natürlich du.«
    Ich?
    ... Es hörte nicht auf.
    Wie sollte er kommen können? Es war kein Kommen, sondern ein Hingehen. Wenn er an den Ankündigungen vorbeiging, sahen sie ihn wie verbotene, immer zur Verfügung stehende Lustbarkeiten an. Sie würden nur durch Umarmung zu bannen sein. Dann durch Festhalten, durch mehr Umarmung und mehr Festhalten. Ein Zurück gab es nicht, das wusste er, schon bevor er jemals da gewesen war, gab es kein Zurück mehr.
    Er hätte Mut gebraucht und Übermut, aber woher hätte er den nehmen sollen?
    Was er dann hatte, war Glück. Eines Abends fragte Riebau: »Kennst du Tatum?«
    »John Tatum?«
    Kannte er, ja.
    »Du warst schon da?«
    Nein, war er nicht. Faraday sah zu Boden.
    »Da solltest du einmal hingehen.«
    Ja, hingehen, so einfach war das vielleicht. Nur, was er nicht sagen konnte: Er hatte kein Geld. Nicht dafür. Leistete er sich doch schon den Luxus der Ausbildung, statt Laufbursche zu bleiben und Geld nach Hause zu bringen: sieben Jahre lang. Nie, auch nicht wenn das Essen knapp war, hatten seine Geschwister oder seine Mutter eine Bemerkung dazu fallen lassen oder wären nur auf die Idee gekommen. Langsam ging Faraday an dem Tag nach Hause.
    »Riebau empfiehlt Tatum«, sagte er beim Abendessen etwas tonlos, wie unkontrolliert, und schlürfte den zu heißen Tee, ohne ihn abkühlen zu lassen. Margaret stand auf, legte die Lichtschere weg, mit der sie hantiert hatte. Sie holte eine neue Kerze. Auch ohne Ausführung wusste sie, worum es ging. Sie war ja nicht blind.
    Robert, der wie der Vater Schmied gelernt hatte und im Beruf arbeitete, verstand es nicht sofort: »Und?«
    »Für nichts wird das nicht sein«, sagte Margaret freundlich, während sie das Hölzchen in die Säure tunkte und es entzündet an die neue Kerze hielt, bevor sie es mit einer schnellen Handbewegung in der Luft löschte.
    Faraday schämte sich. Wie kam er bloß darauf, in so einen Vortrag gehen zu wollen? Er wollte abwiegeln, sich entschuldigen, er spürte, dass er rot geworden war, er verfluchte sich und fühlte Groll gegen Riebau in sich aufsteigen, der ihm dies hier eingebrockt hatte. Überhaupt alles mit der Wissenschaft. Riebau brachte ihn noch um den Verstand, wie alle um den Verstand gebracht waren in diesem Buchladen und an Größenwahn litten: das Schlimmste in den Augen des Herrn. Die Scham hing Faraday um den Hals. Weshalb sollte ausgerechnet er, Michael Faraday, der schon Buchbinder lernen durfte, statt sein Leben lang Laufbursche zu sein oder Schmied zu lernen und sich in einem beobachtbaren Tempo zu Tode zu arbeiten, unter Männern und Frauen von Rang in einen Vortrag über wissenschaftliche Erkenntnisse gehen? Das Allermeiste in Riebaus Laden war grober Unfug, manches davon gefährlich, aber jetzt war er selbst allem erlegen.
    »Ich«, sagte er schnell, kam aber nicht weiter.
    Robert fragte: »Wie viel?«
    Es war eine Beleidigung, musste eine sein. Faraday brachte kein Wort über die Lippen. Er war zu

Weitere Kostenlose Bücher