Nebelsphäre - haltlos (German Edition)
1. Mistkerl
Der Regen prasselte gegen die Scheiben ihres alten VW Polos. „Ist ja klar!“ , dachte Victoria Abendrot. Es passte genau zu ihrer Stimmung.
Sie fuhr die Auffahrt ihres Elternhauses in Glückstadt herunter und war auf dem Weg nach Kiel. Es war Anfang April und das Sommersemester würde in vier Tagen wieder beginnen. Eigentlich wollte sie erst am Sonntag hochfahren, aber sie hielt es in der Kleinstadt einfach nicht mehr aus.
„Dieser Idiot!“, fluchte sie leise. „Wie konnte er mir das nur antun?“
Mit Mark war sie vor sechs Monaten zusammengekommen. Sie hatte ihn auf einer Studentenparty im Minzzo kennengelernt. Er selbst war zwar Versicherungsvertreter und kein Student, aber ein Kumpel hatte ihn mitgebracht. Überrascht hatten sie festgestellt, dass sie beide aus Glückstadt kamen.
Reden konnte er, das war mal klar! Sie hatten den ganzen Abend gequatscht und waren dann in ihrer Studentenbude gelandet. Erst dachte sie, es wäre nur ein One-Night-Stand, aber Mark hatte am nächsten Tag angerufen und wollte sie unbedingt wiedersehen. So kam es, dass sie dann doch jedes Wochenende in Glückstadt war, und zwar nicht bei ihren Eltern, sondern in Marks Wohnung.
Er hatte wirklich eine schicke Wohnung - mit Elbblick.
Und tolle Klamotten.
Und gute Manieren.
Und er sah echt gut aus.
Und er verdiente eine Menge Geld.
Und er sagte ihr immer wieder, wie sehr er sie liebte.
Und ihre Eltern verstanden sich auch gut mit ihm.
Sie stöhnte wütend: „Ja, ich weiß! Er ist der perfekte Schwiegersohn. Und dieser perfekte Schwiegersohn hat mich betrogen. So ein Arschloch!“
Wütend schlug sie aufs Lenkrad.
Sie hatte ein paar Tage mit ihren Freundinnen in einem Wellnesshotel ausgespannt. Mark hatte ihr das zum Geburtstag geschenkt. Sie hatte sich riesig gefreut und ihn für verrückt erklärt, aber er hatte geantwortet: „Ach Süße, das Hotel gehört einem guten Kunden von mir und er hat mir ein Angebot gemacht, das ich nicht ablehnen konnte.“ Dann hatte er sie angelächelt und geküsst. „Bald geht dein Semester wieder los und es kann doch bestimmt nicht schaden, wenn du richtig entspannt und gut erholt bist, bevor du wieder loslegst.“
Sie hatte das Gesicht verzogen. „Aber ich würde viel lieber mit dir fahren!“
„Das weiß ich doch, mein Schatz! Nur leider muss ich arbeiten. Ich habe ein paar wichtige Kunden in den nächsten Tagen und danach bist du schon wieder in Kiel.“
Was für wichtige Kunden das waren, hatte sie gestern ja gesehen!
Sie hatte solche Sehnsucht nach Mark gehabt, gerade weil das Semester bald wieder losging, dass sie einen Nachmittag früher als geplant abgereist war.
Donnerstags war er immer recht früh zu Hause, das wusste sie und so wollte sie ihn überraschen. Sie war direkt zu seiner Wohnung gefahren. Als sie den Flur betrat, hörte sie leise romantische Musik und es standen brennende Kerzen auf dem Tisch im Wohnzimmer.
Sie hatte sich gefreut und vermutet, dass ihre Freundin Sabine ihre vorzeitige Abreise einfach bei Mark gepetzt hatte.
Aber Mark war nirgendwo zu sehen und als sie schließlich ins Schlafzimmer blickte, sah sie ihn und seine «wichtige Kundin» nackt im Bett.
Die Brünette hatte sie herablassend angeschaut und Mark gefragt: „Was will die Kleine denn hier? Ich dachte, du hättest sie für ein paar Tage weggeschickt?“
Victoria hatte nicht glauben können, was sie sah und war völlig schockiert aus Marks Wohnung gestolpert.
Sie war zu ihren Eltern gefahren, wo ihr großer Bruder Max nur gefragt hatte, ob sie einen Geist gesehen hätte. Dann war sie in Tränen ausgebrochen und hatte Max alles erzählt. Er hatte sie einfach nur in den Arm genommen und weinen lassen.
Der Regen wurde stärker. Sie ließ die Scheibenwischer schneller laufen und fuhr auf die Bundesstraße Richtung Aukrug.
Wie hatte sie so auf Mark hereinfallen können?
Immer wieder hatte er ihr erzählt, dass er zu einem wichtigen Kunden musste und war bis spät in die Nacht weggeblieben und immer wieder hatte sie ihm geglaubt.
Einmal hatte er sie in Kiel angerufen und gesagt, dass er krank sei und sie an diesem Wochenende nicht nach Glückstadt zu kommen brauche. Als Victoria angeboten hatte, ihn mit Tee, heißer Zitrone, Taschentüchern und guter Laune zu versorgen, hatte er nur abgewinkt und behauptet, dass er ein sehr leidender Kranker sei und am besten allein klar käme. Sie hatte sich zwar gewundert, aber nicht im Entferntesten daran gedacht, dass er eine andere
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