Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entdeckung des Lichts

Die Entdeckung des Lichts

Titel: Die Entdeckung des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Bönt
Vom Netzwerk:
zweiundvierzigtausend Pfund Schießpulver, Dutzende Ochsen, Hunderte Schweine und tausend Hühner.
    Besatzung: Achthundertfünfzig Mann.
    Dazu kamen achtzehntausend Zitronen pro Ladung gegen den immer mitreisenden Skorbut. Zwei Jahre lang hatten sie, las Michael, keinen Fuß auf Land gesetzt. Die Victory war kein Schiff, sondern eine Maschine. Sie war, las er, ein Wunder, an dem Flauten, Handgriffe, Pflichterfüllung, Unterströmungen, Tagesabläufe und das Auspeitschen der Matrosen im Ganzen gemeinsam ihren Dienst taten, den Dienst an England.
    Diese Maschine war ein Zeichen der neuen Zeit, wenn man der Zeitung glaubte, und sie behauptete auch, manche verstünden weder die Maschine noch die Zeit. Zu denen wollte er nicht gehören. Bevor sie zu den Franzosen überwechselten, hatten die Spanier zum Beispiel die Sache mit dem Skorbut und den Zitronen nicht geglaubt. Sie hatten die Engländer für ihre Zitronen ausgelacht. Riebau vermutete, »dass sie auf ihren schwimmenden Krankenhäusern noch immer nicht daran glauben, obwohl ihnen das Lachen unterm Wettsterben längst vergangen sein muss«.
    Im Schlepptau der Franzosen waren sie jedenfalls keine brauchbaren Verbündeten, sondern, so amüsierten sich die Zeitungen, nur eine Belastung.
    Nelson, las Michael, schlug die Dänen, weil er sich vor Kopenhagen den Anweisungen seines Kommandanten widersetzt hatte. Auch das war offenbar neu. Als Kommandant ließ er seinen Kapitänen in letzter Konsequenz freie Hand.
    »Buonaparte«, hatte Nelson gesagt, »wird nicht satt zu kriegen sein.«
    Aber auf See waren die Engländer im Vorteil, weil ihr Steinschlosszünder alle neunzig Sekunden feuern konnte, die Gegner mit den Zündschnüren nur alle fünf Minuten, und der englische Zündzeitpunkt fast genau bestimmbar war.
    »Die Kontinentalen wissen nie«, erklärte Riebau, »wann ihr Schuss losgeht.«
    Bei langsam aneinander vorbeidriftenden stummen hölzernen Ungeheuern voller Disziplin und in ihrem Blut schwimmenden, halb oder ganz zerrissenen Körpern war deshalb das Treffen eines Mastes, so das Bild, das Michael sich von den Franzosen machte, noch mehr reines Glück, als es unter böigem Wind, launischer Strömung, zitternden Händen, nassem Zündpulver und weichen Knien sowieso der Fall sein musste.
    Nelson würde in Unterzahl sein, las er.
    Wenn der Gegner endlich aus dem Hafen käme, wenn er sich endlich traute. Aber neben den englischen Zündungen würden auch die englischen Seeleute exakt und genau und bis zum Ende tun, was man von ihnen erwartete. Keine Angst würde sie zurückhalten, und das Leben im Unterdeck, dachte Michael, erleichterte es ihnen: Leben konnte man das nicht nennen.
    Er nahm alles zur Kenntnis. Es war aufwendig, ja. Es war entbehrungsreich und aufopferungsvoll und ehrenwert. – Aber wozu war es gut?
    Es konnte kein Ende von etwas sein und kein Ziel. Nicht mal als Zweck fand er es akzeptabel. Es war doch nur dieselbe Not, die er schon kannte. Zu wenig an allem Lebensnotwendigen, zu viel vom Unwissen, wie es weitergehen mochte, totale Auslieferung an den Zufall, Sterben.
    Das Handwerk der Seemänner schien ihm trotzig zu sein. Heldenhafter als verhungern war es schon, wenn man für England fiel, dachte er, wenn er auf dem Weg nach Hause mit einem Stock auf den Boden schlug, bis er brach. Aber war es statt eines Ausweges nicht nur der Wunsch nach einem möglichst pompösen Ende? Ein Aufstehen gegen das Elend war es nicht.
    Wieso, fragte er sich, machten so viele mit?
    Und was war mit ihm los, dass er das ganz anders sah?
    Er las die Zeitungen nicht mehr. Er wollte normal sein. Und natürlich las er bald wieder weiter, absichtslos, gelangweilt und weil er hoffte, dass ihm etwas ins Auge fiel. Dann las er wieder gezielter und schließlich auch wieder gierig, wie am Anfang, irgendwo musste es etwas geben, das er richtig finden konnte.
    Er stieß auf Humphry Davy: Der war auf keinem Schiff. Humphry Davy hatte einen Vortrag über die Zukunft gehalten. Hier in London, in der Royal Institution . Er hatte die Erfindung der Batterie als Alarmglocke der Experimentatoren in ganz Europa bezeichnet.
    Experimentatoren? Ein schönes, unheimliches Wort.
    Genau 1800 habe Alessandro Volta die Batterie erfunden, und das sei kein Zufall. 1800 klang rund und trotzdem offen, und mit der Batterie würde man die Gesetze der Wissenschaft besser studieren können: »Die Gesetze der Elektrizität!« Michael mochte auch dieses Wort sehr gern und sagte es auf seinen Wegen vor sich

Weitere Kostenlose Bücher