PR TB 230 Die Träumer Von Naphoora
1.
Er wußte, daß er es tun würde. Heute war der Tag.
Akhisar spürte sein Herz schneller schlagen, als er das große
Kaufhaus betrat.
Grelles Licht schlug ihm entgegen. Überall flimmerte und
flackerte es. Die Preisschilder pulsierten in dem bekannten
beruhigenden Rhythmus. Die bunten Abbildungen der Produkte flackerten
hektisch. Es war der alte Trick, die Leute zum Kaufen zu verleiten.
Akhisar sah sich um. Was konnte er aus dem tausendfältigen
Angebot wirklich brauchen? Akhisar kam, wie man es so hübsch
nannte, aus einem gutgepolsterten Nest. Der Vater tat als Lakai am
Hof des Ayn-Syd Dienst, die Mutter war Angestellte in einem
Produktionsbetrieb für Kunstbrot. Beide zusammen verdienten mehr
als genug Decimen im Monat, um für sich und ihre drei Kinder
sorgen zu können. Mehr als das, nach den Maßstäben
der Metropole, und die war weit verwöhnter als das flache Land
ringsum, waren Akhisar und seine Familie sogar recht wohlhabend.
Nicht reich, reich waren nur einige Bewohner Chiaddims.
Es genügte für den Lebensunterhalt, für ein warmes
Nest, selbst im härtesten Winter - Akhisar hatte nicht den
geringsten Grund, sich begierig in den Auslagen des Kaufhauses
umzusehen.
In seiner Tasche steckten zwei Decas, das reichte für fast
alles, was Akhisar im Augenblick brauchte - für eine Mahlzeit,
ein Getränk, das man der Freundin ausgab, als Eintritt für
irgendein Spektakel.
Es reichte natürlich nicht für gewisse andere Sachen.
Musikmaschinen beispielsweise. Für den üppig gepolsterten
Helm, den man beim Herumrasen mit dem Stratogleiter tragen konnte.
Indessen besaß Akhisar schon einen solchen Helm, und die
Musikanlage, eine der besten auf dem Markt, war bestellt und sollte
in den nächsten Tagen geliefert werden.
Was Akhisar dazu trieb, ausgerechnet das größte
Kaufhaus der Metropole aufzusuchen, war der Wunsch, dort etwas zu
stehlen.
Nicht daß Akhisar gehungert hätte. Gerade erst hatte er
sich eine anständige Portion Baumnudeln erlaubt, seine
Lieblingsspeise, wenn er gerade aus der Akademie kam.
Der Grund für Akhisars Aktivitäten lag darin, daß
seine Freunde endlich einen Beweis dafür haben wollten, daß
Akhisar ein ganzer Kerl war. Es gehörte einfach dazu, ab und zu
in ein Kaufhaus zu gehen und dort etwas mitgehen zu lassen.
Das machte das Leben so aufregend - dafür gab es nämlich
Punkte. Ein ertappter Dieb mußte damit rechnen, je nach Wert
der Ware zwischen zwanzig und einhundert Punkte abgezogen zu
bekommen, und das war eine Menge. Pluspunkte gab es bei diesem Sport
nicht zu gewinnen, und das war einer der Gründe, warum die
Absolventen und Besucher der Akademie von Chiaddim diesem Hobby
frönten.
Akhisar sah einen Verkäufer auf sich zukommen.
„Du wünschst?"
„Ich sehe mich nur um", versetzte Akhisar.
„Sehr wohl", sagte der Verkäufer. Ein kurzer
prüfender Blick traf Akhisar, dann wandte sich der Verkäufer
zum Gehen. Er verschwand in der Menge der Kunden, die sich im
Kaufhaus drängelten. Akhisar ahnte, daß der Mann jetzt
einen der zahlreichen Jäger alarmierte und auf seine Fährte
setzen würde. Das gab der Sache ihren ganz besonderen Reiz
-einem Kaufhausjäger durch die Finger zu schlüpfen
mitsamt der Beute, das war etwas. Das würde mächtig
imponieren.
Wichtig war, den Diebstahl außerhalb des Kamerabereichs
durchzuführen. Akhisar empfand es immer wieder als Demütigung,
daß er ständig von solchen Kameras belauert wurde, wenn er
einkaufen ging - man behandelte ihn schon als Diebstahlsverdächtigen,
bevor er auch nur das geringste getan hatte.
Akhisars Augen wanderten über die Auslagen. In diesem
Kaufhaus konnte man alles bekommen, was das Herz eines Helagh von
Naphoora erfreuen konnte -Kleidung, Nahrungsmittel, Genußmittel,
sogar Schmuck, und für besonders Wohlhabende gab es eine
Abteilung, in der Nestbauprogramme verkauft wurden. Wer in diesem
Haus nichts fand, was er nicht besitzen wollte, der war wohl nicht
ganz richtig im Kopf.
Akhisar seufzte. Die Auswahl war verlockend, dazu kam die
Verpackung. Die besten Illusionskünstler hatten an solchen
Verpackungen gearbeitet, hatten Schriftzüge entworfen und
verlockende Bilder gemalt. Man mußte sich förmlich
überwinden, nicht zuzugreifen.
Schwierig war es für Leute, die wenig Geld besaßen. Sie
schwebten ständig in dem Zwiespalt, zugreifen zu wollen und
nicht bezahlen zu können. Akhisar erging es nicht anders.
Er entschied sich für Schmuck. Ein kostbarer Ring vielleicht,
den er Midye schenken
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