Die Entscheidung
morgen“, rief Chop, die einen Strauß Rosen neben der Kasse arrangierte. Nellas Lächeln verrutschte, ihre Lippen formten ein „Oh“.
Blanche hob einen Mundwinkel, dann schwang sie sich aus dem Sessel und trat zu ihr.
„Die macht bloß Witze“, murmelte sie und ließ den Blick über die Abendkleider wandern. „Ich muss sie angezogen sehen.“ Damit ergriff sie Nellas Ellenbogen und führte sie zur Ankleide. Nachdem sie den Vorhang zugezogen hatte, trat sie auf die Verkäuferinnen zu.
Chop, die Ältere, setzte ein falsches Lächeln auf, Sueys Selbsterhaltungstrieb funktionierte besser. Mit einer gemurmelten Entschuldigung verzog sie sich ins Lager und überließ ihrer Kollegin das Feld. Blanche konnte es ihr nicht verdenken. Bei ihrer Laune könnte sie allein mit ihrem Blick die Blumen dazu bringen, die Köpfe hängen zu lassen.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte Chop scheißfreundlich. Von Nahem sah sie nicht mehr so jung aus, sondern wie ein Schnittmuster für plastische Chirurgie.
Blanche legte den Kopf schief und fixierte ihr Gegenüber. Am liebsten hätte sie diesem Miststück das Silikon aus den falschen Wangenknochen geschnitten. Andererseits musste sie an ihrem Windbändigen arbeiten.
„Nein, Schätzchen, mir kann man nicht mehr helfen, aber Sugarbabys Zuckerschnute hätte gern einen saftigen Nachlass, sagen wir, fünfzig Prozent?“
„Tut mir leid, die reduzierten Preise gelten erst ab morgen … äh, zwölf Uhr. Und wir senken auch nur um zehn Prozent.“
„Ist das so?“ Blanche kreuzte die Arme vor der Brust und lehnte eine Schulter an den Durchgang zu den Umkleiden. Wind zu benutzen war eine knifflige Angelegenheit, daraus konnte schnell ein Orkan werden. Das hatte sie in der Nacht erlebt, als der Eiffelturm zerstört wurde. Ihre geballte Wut, das Entsetzen, all ihre Ängste hatte der Wind verschluckt und war zu etwas Monströsem angewachsen, das sich nicht kontrollieren ließ. Doch in den letzten Wochen war sie fleißig gewesen und hatte geübt. Dabei stellte sie fest, dass eine einzige Emotion ausreichte, den Wind zu rufen, und das war ein gänzlich gewaltloses Gefühl. An ihrem Feintuning musste sie allerdings noch arbeiten, und das hier war die Gelegenheit dazu. Mit einem pointierten Gedanken fegte sie Regale und Ständer leer und ließ den Kram in einer Windrose im Laden rotieren. Das sah ziemlich cool aus, fand sie, und kam nicht umhin, ein wenig stolz auf sich zu sein. Vor zwei Wochen hätte sie das nicht ohne Weiteres hinbekommen.
„Was machen Sie da?“, kreischte die Verkäuferin. Sie trat einen Schritt zurück, und stieß dem Rücken gegen den Einbauschrank hinter der Theke.
„Räumungsverkauf?“, bot Blanche an. „Oder wie wäre es mit: Alles muss raus?“ Mit einer Böe öffnete sie die Ladentür und nickte zur Promenade.
„Was meinst du, Schätzchen, wie würde sich der Plunder auf der Straße machen?“
„Kann mal jemand die Tür schließen, hier zieht es wie Hechtsuppe“, rief Nella aus der Umkleide.
„Was passiert hier?“, flüsterte Chop und rutschte wie in Zeitraffer die Schrankwand entlang, bis sie auf dem Boden saß.
Blanche ließ die Tür zufallen und beendete den Wirbelwind mit einem mentalen Befehl.
„Danke!“, kam es aus der Kabine.
Seufzend ließ sie sich im Schneidersitz neben der hyperventilierenden Verkäuferin nieder und tätschelte ihre bebenden Schultern.
„Weißt du“, begann sie, und zupfte etwas verlegen an ihrem Ohrläppchen. Solche Gespräche waren eigentlich nicht so ihr Ding, aber für Nella würde sie eine Ausnahme machen.
„Wenn du andere runterputzt, macht dich das nicht größer, kapiert? Es macht dich zu einem Arschloch.“
Sie wusste, wovon sie sprach. Jahrelange Übung und so weiter.
„Außerdem wird es dazu führen, dass du dir immer jämmerlicher vorkommst, bis du irgendwann ein zynisches Miststück geworden bist, das nichts mehr mit dem Menschen zu tun hat, der du einmal sein wolltest.“
Chop blinzelte, ihre Augen fokussierten sich auf Blanche.
„Auch wenn du früher wie Scheiße behandelt wurdest, gibt dir das nicht automatisch das Recht, mit anderen ebenso umzugehen. Mach was mit deiner Wut. Geh zum Kickboxen oder wirf mit Farbe um dich und nenn es modern, ist mir schnurz. Nur kleine Leute machen andere kleiner. Menschen mit wahrer Größe helfen anderen, zu wachsen.“
Damit stand sie auf und umrundete die Theke, um nach Nella zu sehen.
Blanche, die Lebensberaterin. Anruf genügt.
Aber klar
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