Die Entscheidung
er wie Nella keine Freunde besaß. Seinen einzigen Vertrauten hatte er verraten und mit dem Leben seiner Frau dafür bezahlt.
Wayne. Bei der Erinnerung an ihren väterlichen Mentor schloss sich ihre Hand fester um die leere Tasse.
Als könnte er ihre Gedanken lesen, fragte Leo unvermittelt: „Hast du dir mal überlegt, dass es vielleicht gut war, dass Wayne gestorben ist?“
„Hast du sie noch alle?“
„Ich meine, wo wärst du heute, wenn er noch leben würde?“
Was war denn das für eine Frage? Sie wäre zusammen mit Marcel in Lausanne und würde darauf warten, dass sich Wayne endlich melden würde, um sie zurück nach Paris zu holen. Nach Hause. Insgeheim fragte sie sich, ob dieser Anruf je gekommen wäre, aber das behielt sie für sich. Hätte er sie nach Paris kommen lassen, oder war inzwischen so viel Zeit vergangen, dass er sich daran gewöhnt hatte, ohne sie weiterzumachen? Sie nämlich nicht. Die Leere, die er in den ersten Monaten hinterlassen hatte, war fast mehr, als sie ertragen konnte. Das war der Grund dafür gewesen, dass sie aus dem Streberinternat abgehauen war und sich Marcel angeschlossen hatte. Deswegen war sie so verbissen auf einen Kampf aus gewesen, hatte sich mit Marcels Leuten angelegt und jedem gezeigt, was passierte, wenn man sich mit ihr anlegte. Nichts Gutes, so viel war sicher.
Ihre angestaute Wut darüber, dass Wayne sie wie ein lästiges Gepäckstück zurückgelassen hatte, weil Paris angeblich zu unsicher wurde, hatte sie in der Schweiz ausgelebt.
Nachdem Wayne ermordet wurde, begegnete sie Beliar, und mit seinem Erscheinen hatte sich ihr Zorn in Luft aufgelöst, obwohl sie nicht sagen konnte, warum. Hätte sie nicht wütender denn je sein müssen? Doch der Dämon übte eine beruhigende Wirkung auf sie aus, und so war sie nach und nach wieder sie selbst geworden.
Obwohl das nicht ganz zutraf. Die zornige Version aus der Schweiz war fort, stattdessen hatte sie es jetzt mit einer Blanche zu tun, die ihren Platz in der Welt suchte. Ihr Dämon hatte ihr Halt gegeben, eine Sicherheit, von der sie nicht gewusst hatte, dass es so etwas überhaupt gab. Nicht mal in Waynes besten Zeiten hatte sie sich so geborgen gefühlt wie in den Momenten, die sie mit Beliar teilte.
War es also gut, dass Wayne gestorben war? Wohl kaum. Dennoch hätte sie Beliar vermutlich nie kennengelernt, wäre ihr Mentor nicht ermordet worden.
Andererseits müsste sie dann auch nicht mit der Schwere des Verlusts leben, die sie seit seinem Abgang innerlich verschlang. Waynes Tod war ein harter Schlag gewesen, doch nachdem Beliar sie verlassen hatte, fühlte sie sich leer, geradezu ausgehöhlt. Er fehlte ihr so sehr, dass ihr beim bloßen Gedanken an ihn alles wehtat.
Sie bestellte einen weiteren Lungo und wechselte das Thema.
„Wie laufen die Geschäfte?“
„Welche Geschäfte?“, brummte er und fuhr sich durch das lichter werdende Haar. „In der Stadt wimmelt es von Bullen, du kannst in keine Ecke pinkeln, ohne ihre Stiefel zu treffen.“ Er lehnte sich zurück, und bedeutete dem Kellner, sein Glas zu füllen.
„Die kleinen Organisationen haben sich zu einer großen Vereinigung zusammengetan, um gegen Enzo und Sergej zu bestehen.“
Darauf runzelte sie die Stirn. Mit kleinere meinte er vermutlich die Algerier, Georgier und Albaner. Man musste sich Paris wie einen Kuchen vorstellen, an dem Enzo die Sahnestücke in Form der profitabelsten Arrondissements besaß. Auf Platz zwei befand sich der Sankt Petersburger Sergej, der sich für keine Schweinerei zu schade war. Erlaubt war, was ihm gefiel, und als ausgemachtes Sadistenschwein hatte er Spaß an Dingen, bei denen ihr das Frühstück hochkam. Und das sollte etwas heißen, denn als Auftragskillerin war sie nicht gerade zimperlich.
Unter diesen Umständen hätte man annehmen können, dass Zoey, der sogar ein noch bösartigeres Arschloch als Sergej war, vom Sankt Petersburger abstammte, aber Pustekuchen. Zoey entsprang der Moskauer Gruppe der Vory V Zakone, was übersetzt so viel hieß wie „Diebe im Gesetz“ oder kurz: Russenmafia.
Zoey war Blanches Erzfeind Nummer eins – gewesen. Sie hatte ihn umgebracht, wusste jedoch, dass er wiederkommen würde, denn er hatte einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, und der garantierte ewiges Leben. Laut Vertrag war Saetan dazu verpflichtet, ihm nach seinem Ableben einen schicken, neuen Körper zu besorgen, doch was der Teufel unter schick verstand, oder unter neu, sollte man besser vorher im
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