Die Entscheidung
überquerte, einen Druck, der sie aus dem Gleichgewicht brachte, sodass sie stolperte und auf den Knien landete.
Der Flur war zu klein. Es gab nicht genug Platz für alle. Der Telefontisch krachte zur Seite. Sie fielen übereinander. Jenny kniete auf dem Bein von irgendjemandem.
»Aus dem Weg! Wir müssen die Tür schließen!«, rief Dee.
Es herrschte völliges Chaos. Das Bein unter Jenny bewegte sich, und sie sah Audrey wegkriechen. Sie versuchte ebenfalls zu kriechen und schleifte Julian hinter sich her. Tom hob das Telefontischchen auf und warf es über ihren Kopf hinweg in Richtung des Wohnraums.
Dee trat die Tür zu, gerade als der Sturm sie erreichte.
»Was ist mit dem Kreis?«, schrie Michael. »Wo ist ein Messer? Wo ist ein Messer?«
Jenny wusste, dass sie ein Messer hatte, aber sie konnte sich nicht schnell genug bewegen. Michael riss etwas vom Boden hoch. Es war ein Filzstift, der Stift, den Jenny benutzt hatte, um den Runenkreis zu zeichnen. Mit einer heftigen Bewegung strich er den Kreis durch.
Das Kreuz sah aus wie ein schräges X, wie die Rune Nauthiz. Die Rune der Beherrschung.
»Ihr braucht das nicht zu tun«, bemerkte Julian, dessen Stimme wie aus weiter Ferne klang. Machtlos. »Sie werden nicht hinter euch herkommen. Sie haben keinen Anspruch mehr.«
Er lag auf dem Boden und schaute zur Decke empor. Er hielt sich die Brust, als hätten die Schattenmänner sein Herz anstatt seines Namens herausgeschnitten.
Jenny nahm seine freie Hand in ihre.
So kalt. Als sei er aus Eis gemeißelt. Sein Gesicht war ebenso bleich und seine Schönheit wie ein fernes Feuer, das sich in einem Eiszapfen widerspiegelte.
Es war seltsam, aber in diesem Moment glaubte Jenny all seine Gesichter zu sehen, die er bis dahin gezeigt hatte. All seine Erscheinungen.
Der Junge in dem Spieleladen, der zu laut Acid-House hörte. Der Erlkönig in weißer Ledertunika und Kniehosen. Der Cyberjäger in glatter Körperpanzerung und mit einem blauen dreieckigen Muster auf der Wange. Der maskierte Tänzer beim Schulball, in schwarzem Smoking und schwarzem Hemd.
Jede dieser Erscheinungen wurde wie eine Facette von geschliffenem Kristall reflektiert – und erst jetzt konnte Jenny den ganzen Kristall sehen.
Julian, der aus den Schatten trat, selbst so geschmeidig wie ein Schatten. Julian, der Zachs Kleidung trug und
sie mit einem Bienenschwarm bedrohte. Julian, der ihr den goldenen Ring an den Finger steckte und die Verlobung mit einem Kuss besiegelte. Julian, der sich über sie beugte, während sie schlief. Julian in dem Bergwerksstollen, mit großen Augen und brechendem Blick.
Und dann die Farbe dieser Augen – Jenny hatte sie nie richtig beschreiben können. Manchmal schienen sie dieser oder jener Farbe ähnlich zu sein, aber wenn sie sich festlegen wollte, versagten alle Worte. Sie ließ sich mit nichts anderem vergleichen.
Jenny glaubte, etwas in seinen Augen flackern zu sehen, tief drinnen, wie eine sich drehende blaue Flamme.
»Du kannst nicht sterben«, sagte sie und war selbst überrascht, wie ruhig und sachlich ihre Stimme klang.
Und Julian war ebenso ruhig, obwohl seine Augen ins Leere blickten und seine Stimme schwach war. Er schien beinahe zu lächeln.
»Das Gesetz kann nicht geändert werden«, stellte er fest.
»Aber du kannst nicht sterben«, widersprach Jenny. Ihre Finger hatten sich fest um seine geschlossen, aber seine Hand schien immer kälter zu werden.
Alle anderen waren zurückgetreten. Jenny wollte ihnen sagen, dass das nicht nötig war, dass alles gut werden würde. Aber irgendwie glaubte sie es selbst nicht.
»Hast du gewusst, dass Gebo nicht nur die Rune des Opfers ist?«, fragte Julian.
»Es ist mir egal.«
»Es bedeutet auch Geschenk. Du hast mir ein Geschenk gemacht, weißt du.«
»Es ist mir egal«, wiederholte Jenny und begann zu weinen.
»Du hast mir gezeigt, wie es ist zu lieben. Wie das Universum sein könnte, wenn.«
Jenny schlug sich eine Hand auf den Mund. Sie schluchzte lautlos.
»Und das ist jetzt mein Geschenk an dich, und du hast keine andere Wahl, als es anzunehmen. Du bist frei, Jenny. Sie werden nie wieder hinter dir her sein.«
»Du kannst nicht sterben«, flüsterte Jenny unter Tränen. »Es muss etwas geben, das wir tun können. Du kannst nicht einfach erlöschen …«
Julian lächelte.
»Nein, ich werde einen anderen Traum träumen«, sagte er. »Ich habe so viele Dinge erschaffen, also werde ich jetzt einfach einen Traum erschaffen – und ein Teil davon
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