Erst ich ein Stueck, dann du
Überraschungsausflug
Max hatte sein Heft und sein Mathebuch aufgeschlagen und den Füller aus dem Federmäppchen genommen. Seine Klassenkameraden rechneten bereits fieberhaft. Einige benutzten dazu ihre Finger, andere die Buntstifte aus der Federtasche und wieder andere saßen mit geschlossenen Augen da und stellten sich die Bonbons, Rennautos oder Barbiepuppenschuhe einfach vor, die sie zusammenzählen oder voneinander abziehen sollten.
Max benutzte zum Rechnen kleine Radiergummischnipselkinder, die er mit der Schere von seinem Vaterraditschi abgeraspelt hatte und in einer Streichholzschachtel aufbewahrte.
Heute blieb die Schachtel jedoch zu.
Denn heute rechnete Max nicht.
Er schaute aus dem Fenster und träumte.
Heute war nämlich Freitag und Max träumte vom Wochenende.
Sein Wochenende mit Papa.
Ganz allein.
Wenn der Gong ertönte, würde Papa bereits draußen auf dem Schulhof warten. Max musste nur noch schnell seine Sachen in den Ranzen stopfen, die Holztreppe hinunterrennen und in seine Arme stürzen.
„Max?“, schreckte ihn die Stimme von Herrn Wolfers auf.
Max nahm das Ende des Füllers aus dem Mund und blickte seinen Klassenlehrer mit großen Augen an.
„Warum schreibst du nicht?“, fragte Herr Wolfers.
„Äh …?“, sagte Max. Verwirrt sah er auf die leeren Seiten seines Heftes. „Sollen wir schreiben?“
„Na ja, genau genommen sollt ihr natürlich rechnen“, meinte Herr Wolfers lächelnd. „Aber irgendwie hat Rechnen ja auch mit Schreiben zu tun, nicht wahr?“Er tippte auf die Aufgabe im Mathebuch, die sie bearbeiten sollten. „Hast du Probleme damit?“
Max schüttelte den Kopf.
„Nein“, sagte er.
„Aber ich mach die erst am Sonntag.“
„Das ist zu spät“, meinte der Lehrer.
„Wir wollen gleich noch
die Lösungen besprechen.“
„Gleich kommt Papa“, sagte Max.
Seine Klassenkameraden kicherten.
Aber das war Max egal.
Die hatten ja keine Ahnung.
Die anderen Kinder wussten eben nicht, wie es war, wenn man seinen Vater nicht ständig um sich hatte, denn sie lebten alle in vollständigen Familien. Max traf Papa nur am Wochenende und in den Ferien. Und nur jedes vierte Wochenende hatte er ihn ganz für sich. Dann musste Mara zu Hause bei Mama bleiben. Und so ging es immer abwechselnd: Am ersten Wochenende fuhren Mara und Max zusammen zu Papa. Am zweiten Wochenende brachte Mama Mara zum Zug. Sie war schon in der vierten Klasse und konnte alleine nach Döbeln fahren, wo Papa jetzt wohnte. Am dritten Wochenende blieben sie beide zu Hause bei ihrer Mutter und am vierten Wochenende holte Papa Max gleich Freitagmittag von der Schule ab.
„Darf ich schon gehen?“, fragte Max.
Herr Wolfers sah ihn erstaunt an.
„Musst du aufs Klo?“, fragte er.
Max schüttelte den Kopf.
Der Klassenlehrer seufzte.
„Wir haben noch eine Viertelstunde“, sagte er.
„Dein Papa ist bestimmt noch nicht da.“
Max beschloss, seinem Klassenlehrer einen Gefallen zu tun und ihm zuliebe ein paar Aufgaben zu rechnen. Herr Wolfers war wirklich sehr nett. Er hatte es verdient, dass man ihm entgegenkam.
Max zog die Füllerkappe ab und übertrug den ersten Rechenturm in sein Heft. Die Aufgaben waren so babyeierleicht, dass er die Radiergummischnipselkinder gar nicht brauchte.
Und dann war die Mathestunde plötzlich um, ohne dass Herr Wolfers irgendwelche Lösungen besprochen hätte. Max wunderte das nicht. Der Klassenlehrer machte dauernd Ankündigungen, die er am Ende nicht einhalten konnte. Nicht aus böser Absicht natürlich, - Herr Wolfers war einfach ein bisschen verpeilt.
Ruck-Zuck waren das Heft, das Buch
und die Federmappe im Ranzen verstaut.
Saus-Flutsch war Max
aus der Klasse geschlüpft.
Spring-Boings war er
die Treppe hinuntergehopst.
Und dann war Papa nicht da.
Nicht in der Aula und nicht im Pausenhof.
„Guck nicht so dusselig“, sagte Mara, die plötzlich neben ihm stand. „Mama und Papa haben getauscht.“
„Was?“, fragte Max erschrocken. „Na, das Wochenende“, erklärte Mara ihm. „Das dritte gegen das vierte. Und jetzt komm!“
Verwirrt stolperte Max seiner Schwester hinterher.
„Aber das dritte Wochenende war ja erst. Es kann doch nicht schon wieder kommen“, stammelte er.
„Wochenenden können alles“, brummte Mara. „Wochenenden gehören nämlich Eltern und nicht Kindern. Und jetzt beeil dich mal ein bisschen“, ermahnte sie ihn. „Mama wartet bestimmt schon.“
„Wo?“, fragte Max.
„Vor dem Supermarkt“, antwortete
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