Die Entscheidung
Gordie Wilson von den Schattentieren, dem Kriecher und dem Schleicher, getötet wurde, obwohl dieser nichts Schlimmeres verbrochen hatte, als die Schule zu schwänzen und auf Kaninchenjagd zu gehen.
Jenny wusste, dass Julian eine große Gefahr für das Leben darstellte. Ohne ihn war das Universum viel sicherer.
Aber auch ärmer. Und langweiliger. Eindeutig langweiliger.
Es war Summer, die das Erstaunliche aussprach.
»Erinnert ihr euch?«, fragte sie und drehte sich auf der Wohnzimmercouch um, um nach dem Taxi Ausschau zu halten. »Julian hat behauptet, die Welt sei böse. Aber dann hat er bewiesen, dass sie es nicht ist.«
Jenny tauchte aus ihren eigenen Gedanken auf und sah Summer erstaunt an. Natürlich, genau das war es.
Und das war auch der Grund, warum sie weiterleben und sich auf vieles freuen konnte. In einem Universum, in dem das geschah, musste man weiterleben und hoffen und sein Bestes geben. In einem Universum, in dem das geschah, war alles möglich.
Das ist Julians wahres Geschenk, dachte sie.
Aber da war noch etwas, und sie entdeckte es, als sie die anderen anschaute. Sie alle hatten sich verändert – Julian hatte sie verändert. Wie die Rune Dagaz, der Katalysator, hatte er jeden verändert, der ihm begegnet war.
Audrey und Michael – hielten Händchen. Audrey hatte sich nicht einmal mehr die Mühe gemacht, sich das Haar hochzustecken. Michael strich ihr mit zärtlicher Beschützermiene über die Schulter.
Dee und Audrey lagen, seit sie sich kannten, im Dauer-Clinch. Doch nach der heutigen Nacht, da war Jenny sicher, würde dieser beendet sein.
Und Zach – Zach sah Summer mit verwirrtem Interesse an. Wie ein Wissenschaftler, der völlig unerwartet eine neue Blumenart entdeckt hat und fasziniert davon ist.
Wird keine Woche halten, dachte Jenny. Aber es war trotzdem gut, dass Zach endlich einmal ein Mädchen wahrnahm, menschliches Interesse zeigte, außerhalb seiner eigenen Fantasie und seiner Fotokunst.
Durch Julian hatte Zach gelernt, dass Fantasiewelten nicht immer besser waren als die Realität.
Summer hat sich ebenfalls verändert, dachte Jenny. Sie ist nicht mehr halb so versponnen wie vorher. Und das ist auch der Grund, warum Zach sie anstarrt.
Und Dee …
Jenny drehte sich um, um ihre Freundin anzusehen.
Dee hatte ihre langen Beine von sich gestreckt und saß sehr nachdenklich mit gesenktem Kopf da. Ihre von dichten Wimpern umkränzten Augen waren schmal.
Nun, Dee ist Dee und wird sich niemals ändern, dachte Jenny liebevoll.
Aber da irrte sie sich. Während sie ihre Freundin beobachtete, blickte Dee zu ihr auf und lächelte.
»Weißt du, ich habe nachgedacht. Und – es würde eine bedeutende Änderung meiner Pläne mit sich bringen, verstehst du? Es würde viel Lernen mit sich bringen, und ich hasse Lernen.«
Sie brach ab. Jenny blinzelte, dann beugte sie sich vor.
»Dee?«
»Ich habe darüber nachgedacht, vielleicht doch aufs College zu gehen. Vielleicht. Ich bin gerade dabei, mich mit dieser Idee anzufreunden.«
Dee hatte sich ebenfalls verändert.
»Aba wäre sehr glücklich«, sagte Jenny. Dann entschloss sie sich, das Thema zu fallen, weil sie befürchtete, dass Dee störrisch werden könnte. Dee hasste es, zu irgendetwas gedrängt zu werden. »Aber es ist
deine eigene Entscheidung«, war alles, was sie hinzufügte.
»Ja, das ist es. Tatsächlich ist es das alles, nicht wahr? Unsere eigene Entscheidung.«
Jenny blickte auf den goldenen Ring an ihrem Finger, dann schloss sie ihre andere Hand darum. »Ja, das gilt für vieles.«
Auch Tom hatte sich verändert – und wie sehr er sich verändert hatte, zeigte die Tatsache, dass Jenny diesen Ring trug und er kein Wort darüber verlor. Sie glaubte nicht einmal, dass es ihm etwas ausmachte.
Er verstand es einfach .
Wenn er es nicht verstanden hätte, wäre Jenny niemals glücklich gewesen. Aber so wusste sie, dass er sie nicht dafür hassen würde, wenn sie versuchte, Julian in einen wunderbaren Traum zu träumen. Vielleicht würde er lieber nichts darüber hören wollen, aber es würde ihn nicht aufregen.
Er betrachtete sie nicht länger als etwas Selbstverständliches, er war nicht mehr besitzergreifend. Vielleicht ist Tom derjenige, der sich am meisten von allen verändert hat, dachte Jenny.
Oder vielleicht hatte auch sie sich am meisten verändert.
»Das Taxi ist da«, stellte Michael fest. »Okay, also, zuerst müssen wir zum Arzt fahren …« Er betrachtete seine rasch hingekritzelte
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