Die Entscheidung der Hebamme
und sah wieder hinüber zu Philipp.
»Wie ist so etwas möglich?«, flüsterte er Christian zu. »Wie kann ausgerechnet ein Mann Gottes solch einen ruchlosen, gottlosen Haufen in seine Dienste nehmen?«
»Und sie noch dazu mit dem Zehnten, den er von seinen frommen Schutzbefohlenen kassiert, für ihre Schandtaten entlohnen«, ergänzte Christian sarkastisch. »Es gibt keine Antwort darauf. Dass Heinrichs Truppen Soest verwüstet haben, mag seinen Zorn erklären, obwohl ein Erzbischof doch mehr als jeder andere Vergebung predigen und die Rache dem Allmächtigen überlassen sollte. Aber das ist keine Rechtfertigung. Nichts kann solche Bluttaten rechtfertigen.«
Christians Stimme war jetzt von einer Härte, wie Dietrich sie selten an ihm erlebt hatte. »Es ist der Krieg. Er holt das Schlechteste aus den Menschen hervor.«
»Aber auch Heldenmut. Ist der Krieg nicht eine edle Sache?«, wandte Dietrich überrascht ein.
Christian sann darüber nach, wie er dem jungen Mann seine Anschauungen klarmachen konnte, ohne dass dieser seine Kaisertreue und seine Festigkeit im Glauben in Frage stellte. Er dachte in vielen Punkten anders als die meisten Ritter, die wenige Gedanken an das Schicksal der einfachen Menschen verschwendeten. Doch er war als Waise bei einer armen weisen Frau aufgewachsen, bis ihn Ottos Vater auf den Burgberg geholt hatte und zum Ritter ausbilden ließ; etwas, das Christians Vater mit seinem Leben erkauft hatte, der als Spielmann ein Spion in den Diensten des alten Meißner Markgrafen gewesen war. Dass Christian weder Besitz noch eine rühmliche Abstammung vorzuweisen hatte – niemand durfte wissen, dass sein Vater ein Spielmann war und damit als unehrlich Geborener galt –, hatte ihm von der Pagenzeit an die Verachtung und Feindschaft bessergestellter Gleichaltriger wie Randolf, Ekkehart oder Elmar eingebracht.
»Wir sind uns doch einig darüber, dass unser Kaiser ein Mann von edler Gesinnung und die wahre Verkörperung des ritterlichen Ideals ist?«
»Selbstverständlich.«
»Weißt du, was er befohlen hat, als er vor Jahren mit der Stadt Crema nahe Mailand ein Exempel statuieren wollte? Das war, kurz bevor du als Page an seinen Hof kamst.«
Dietrich schüttelte den Kopf.
»Er ließ Gefangene und Geiseln, darunter auch Kinder, in Körben an seinen Belagerungstürmen aufhängen. Wenn die Verteidiger der Stadt die Türme aufhalten wollten, waren sie gezwungen, mit Brandpfeilen auf ihre eigenen Kinder zu schießen, die vor Angst und Entsetzen schrien und um Gnade flehten. Bis sie tot waren. Aus Rache zerstückelten die Cremasken dann die gefangenen Kaiserlichen bei lebendigem Leib auf der Stadtmauer, vor den Augen von Friedrichs Männern, und warfen die zerhackten Körper, Köpfe und Gliedmaßen auf sie herab.«
Nun blieb Dietrich eine ganze Weile stumm.
»Was ist mit den Heiligen Kriegen? Mit den Kreuzzügen gegen die Ungläubigen?«, fragte er schließlich. »Die Ungläubigen zu töten, muss doch gottgefällig sein. So sagen es die Kirchenfürsten: Gott will es.«
Christian musste warten, bis der nächste Donner verhallte. »Ich weiß nicht, ob Gott es will. Aber ich kannte einen Mann, der den letzten Kreuzzug mitgemacht hat, unser früherer Dorfpfarrer. Er war als Kämpfer dabei gewesen, als vor mehr als dreißig Jahren König Konrads Truppen bei Damaskus fast bis auf den letzten Mann niedergemacht wurden. Als er zurückkam, ging er in ein Kloster, weil er das Morden und Metzeln nicht mehr ertragen konnte. Er wollte seinen Frieden finden.«
»Und, hat er ihn gefunden?«
Ein wehmütiges Lächeln zog über Christians Gesicht bei der Erinnerung an Pater Bartholomäus, einen Mann mit festem Glauben und großem Herzen. »Im Kloster wohl doch nicht ganz. Aber ich denke, er fand ihn, indem er den Menschen in unserem Dorf half, ein neues, besseres Leben aufzubauen.«
»Habt Ihr schon viele Menschen getötet?«, wollte Dietrich nach einem weiteren Moment des Schweigens wissen.
»Ja.« Das klang hart und nüchtern. »Doch es waren nie wehrlose Bauern oder gar Frauen und Kinder. Es waren Feinde in Waffen. Mörder und Plünderer wie dieser Abschaum heute, Ritter, die die Regeln unseres Standes mit Füßen getreten und die Menschen geschunden haben.«
Christian machte eine wegwerfende Handbewegung. »Nur – wenn wir Haldensleben wirklich einnehmen, werde ich sicher manch guten Mann töten müssen, dessen Vergehen lediglich darin besteht, auf der anderen Seite zu kämpfen, auf Heinrichs
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