Die Entscheidung der Hebamme
damals, als er die ersten Silberfunde in Augenschein genommen hatte.
Marthe lehnte sich an Lukas, um Halt zu finden und damit er ihre Tränen nicht sah. Schützend legte ihr Mann seine starken Hände um ihren Leib, in dem sein Sohn heranwuchs. Das Gedränge war zu groß, und er wollte nicht, dass Marthe aus Versehen einen Stoß abbekam.
Sie lebten beide in dem Steinhaus, das Christian einst hatte bauen lassen. Lukas war als Ritter in den Dienst des neuen Burgvogtes getreten, eines strengen, unnachgiebigen Mannes. Er hatte das hauptsächlich in dem Bestreben getan, die Christiansdorfer zu schützen. Christians Tod und die Härte, mit der dieser neue Vogt den Ort regierte, hatten den Ausschlag dafür gegeben, dass die Bewohner mittlerweile geradezu danach gierten, das Stadtrecht und damit mehr Freiheiten zu bekommen.
Marthe arbeitete weiter als Wehmutter und Heilerin, und wie es aussah, würde sie wohl bald wieder Arbeit bekommen. Der junge Christian wühlte sich aufgeregt durch die fröhliche Menschenmenge zu ihr durch und gestikulierte dabei heftig mit den Armen, um auf sich aufmerksam zu machen.
»Es ist so weit! Wir brauchen Eure Hilfe!«, rief er Marthe zu. Anna war seit einem knappen Jahr mit diesem Christian – inzwischen Stellvertreter des Stallmeisters – verheiratet und erwartete ihr erstes Kind.
Endlich stand der junge Mann vor ihnen, aufgelöst und voller Sorge.
»Ich begleite dich ein Stück«, sagte Lukas zu Marthe, der nicht wollte, dass sich seine Frau in ihrem Zustand allein durch das Gewühl arbeiten musste. Dankbar nahm sie sein Geleit an.
Als sie die Menschenmenge endlich hinter sich gelassen hatten, blieb Marthe für einen Moment versonnen stehen.
»Du warst das erste Kind, das in Christiansdorf geboren ist«, meinte sie lächelnd zu dem einstigen Stallburschen. »Da passt es doch, dass dein Sohn das erste sein wird, das in Freiberg geboren wird.«
»Wenn Ihr einverstanden seid«, sagte der junge Ehemann verlegen zu Lukas und Marthe, »würden wir ihn gern auch Christian nennen, nach unserem Anführer, Herrn und Beschützer.« Mit dem Arm deutete er auf die entstehende Stadt. »Dem Mann, dem wir alles verdanken.«
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Nachbemerkungen
W ie auch in den beiden vorangegangenen Teilen meiner Geschichte um Marthe und Christian bildeten die tatsächlichen Ereignisse jener Zeit – soweit überliefert – das Grundgerüst der Handlung. Doch als ich vor Jahren begann, in Romanform von den Siedlerzügen, den ersten Silberfunden im Erzgebirge, dem Werden der Stadt Freiberg und der Mark Meißen im 12 . Jahrhundert zu erzählen, war mir noch nicht in vollem Maße bewusst, dass mich meine Bücher nicht nur zu einem entscheidenden Moment der Freiberger und sächsischen Geschichte, sondern auch zu einem Wendepunkt der deutschen Geschichte führen sollten. Die in diesem Band geschilderten Auseinandersetzungen zwischen Barbarossa und Heinrich dem Löwen mündeten nicht nur in einen blutigen Krieg, durch den vor allem die einfachen Menschen furchtbar leiden mussten und ganze Landstriche zum Teil mehrfach verheert wurden, sondern sie brachten auch beträchtliche Veränderungen auf der Landkarte mit sich. Das Sachsen, das bis zu Heinrichs Ächtung noch in etwa das Gebiet Nordsee – Harz – Westfalen umfasste, verlagerte sich nach der Aufteilung annähernd auf das heutige Sachsen-Anhalt, bevor 1423 mit der Belehnung der Wettiner mit dem Kurfürstentum Sachsen der Name auf die Mark Meißen überging.
Im hier geschilderten Ablauf der Auseinandersetzungen folge ich so genau wie möglich den tatsächlichen Begebenheiten.
Markgraf Dietrich hat auf dem Hoftag in Magdeburg tatsächlich Heinrich den Löwen zum Gottesurteil herausgefordert, auch wenn dieser Kampf nie stattgefunden hat.
Ebenfalls den Überlieferungen entsprechend habe ich die zweimalige Belagerung Haldenslebens geschildert – vom brennenden Torfmoor über den Abzug der Wettiner nach heftigem Streit mit dem Kölner Erzbischof bis zur Flutung und völligen Vernichtung der Stadt. Es sollte Jahrzehnte dauern, bis dort wieder Menschen siedelten.
Den bekannten Fakten entsprechen die Kriegsgreuel einschließlich der Untaten der Brabanzonen.
Bei der Belagerung Goslars, das tatsächlich durch den neuen Herzog von Sachsen und den Thüringer Landgrafen geschützt werden sollte, habe ich ein wenig meine Phantasie spielen lassen. Fakt ist aber, dass Heinrichs Truppen damals die Bergwerke und Hütten am Rammelsberg zerstörten und die Menschen
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