Die Entscheidung
„Ich glaube, jetzt gerade mache ich endlich mal etwas richtig.“
„Da irrst du dich. Und ich kann nur hoffen, dass dir das noch früh genug bewusst wird.“
Mit diesen Worten drehte Johanna sich weg und verschwand, damit Darrek und Janish ihre Tränen nicht sehen konnten. Sie würde die beiden wirklich vermissen.
Alles, was Laney über das erste Mal gehört hatte, war eindeutig gelogen. Man hatte ihr erzählt, es würde furchtbar schmerzen und sie würde am nächsten Tag völlig steif aufwachen. Aber nichts hatte sich davon bewahrheitet. Es ging ihr einfach wunderbar. Kein Muskelkater, keine wunden Stellen und keine Schmerzen zwischen den Beinen.
Stattdessen spürte sie eine Zufriedenheit und ein Glücksgefühl, wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Die Sonne schien durch das Fenster herein und kitzelte ihre Lider. Ein Lächeln überzog Laneys Gesicht, während sie genüsslich in dem Zustand zwischen Schlafen und Wachen verblieb. Es war einfach wunderbar sich so zu fühlen. Warum nur hatte sie so lange darauf verzichtet?
Doch im Prinzip gab es ja keinen Grund, warum sie jemals wieder darauf verzichten sollte. Langsam öffnete sie die Augen und begann sofort nach Darrek zu tasten, der sie die meiste Zeit der Nacht im Arm gehalten hatte. Er würde sicher nichts dagegen haben, mit seinen Liebkosungen vom Vorabend weiterzumachen. Sie hatte immerhin den Eindruck gehabt, dass es ihm trotz des Gifts genauso gut gefallen hatte wie ihr.
Doch als Laney Darrek nicht sofort neben sich spüren konnte, öffnete sie verwundert die Augen. Sofort bestätigte sich, was sie als Erstes befürchtet hatte. Die Matratze neben ihr war leer. Und auch im Rest des Zimmers war er nicht zu sehen.
Das hatte nichts zu bedeuten, versuchte sie sich selbst zu beruhigen. Bestimmt war er nur duschen gegangen. Oder er war kurz die Treppe hinunter, um etwas Kunstblut zum Frühstück zu holen. Oder er war eine Runde joggen oder rauchen oder was auch immer Männer nach einer leidenschaftlichen Liebesnacht so taten.
Doch in diesem Moment entdeckte Laney den Brief auf der Kommode neben dem Bett und ihr Mut sank. Schnell zog sie sich ein langes T-Shirt über den Kopf und angelte dann nach dem Umschlag. Ihre Hände zitterten, als sie ihn öffnete und ein Blatt Papier hervorholte.
In kantiger Schrift stand dort geschrieben:
Hallo Prinzessin,
wenn du das hier liest, hast du wahrscheinlich bereits gemerkt, dass ich das Dorf verlassen habe. Ich bin mit Janish fortgegangen, um endlich mit dem zu beginnen, was ich mir von Anfang an vorgenommen hatte. Die Jagd nach den begabten Wilden.
Es tut mir leid, dass ich mich nicht persönlich verabschiedet habe, aber ich denke, es ist besser so. Ich kann dir nicht geben, was du dir von mir wünschst. Ich bin nicht der richtige Mann für eine Verbindung. Allein der Gedanke daran bereitet mir schon Unbehagen und ich will meine Freiheit auf keinen Fall aufgeben. Außerdem glaube ich, dass eine Verbindung zwischen uns Unglück über die Vampirwelt bringen würde. Ich darf mich auf keinen Fall in der Nähe des Schlachtfeldes blicken lassen. Denn wenn die Ältesten mich in die Finger kriegen, ist alles vorbei. Akimas Gabe ist zu mächtig.
Da du dich aber weigerst, bei mir zu bleiben, muss ich dich ziehen lassen. Denn ich habe nicht vor, dich weiterhin gegen deinen Willen hinter mir herzuschleifen. Stattdessen solltest du zu deiner Familie zurückkehren und Greg als Partner wählen, wie es dein ursprünglicher Plan war. Er scheint genau der richtige Mann für dich zu sein und wird dich bestimmt glücklich machen.
Bitte versuch nicht, meine Entscheidung zu hinterfragen. Es ist einfach, wie es ist. Sich über die Gründe den Kopf zu zerbrechen wird zu nichts führen. Ich wünsche dir alles erdenklich Gute und hoffe, dass du den Kaltblütern zur Freiheit verhelfen kannst.
Ich werde dich nie vergessen.
Darrek.
PS: Zögere nicht lange mit dem Aufbruch. Liliana und Raika sind in Island auf der Suche nach euch. Ich werde versuchen, euch so lange wie möglich abzuschirmen, aber das wird mir nicht ewig gelingen. Daher solltet ihr so schnell wie möglich hier verschwinden.
Laney stand auf und ließ das Papier lautlos zu Boden gleiten. Wie in Trance ging sie ins Bad, steckte den Stöpsel ins Waschbecken und stellte das Wasser an. Dann sah sie auf und erblickte eine Karikatur ihrer selbst. Sie war blass, kahl und allein. Ein lauter Schrei entfuhr ihrer Kehle, und ohne darüber nachzudenken schlug sie auf ihr Spiegelbild ein.
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