Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entstehung der Arten Illustriert - Ueber die Entstehung der Arten durch natuerliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der beguenstigten Rassen im Kampfe ums Dasein

Die Entstehung der Arten Illustriert - Ueber die Entstehung der Arten durch natuerliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der beguenstigten Rassen im Kampfe ums Dasein

Titel: Die Entstehung der Arten Illustriert - Ueber die Entstehung der Arten durch natuerliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der beguenstigten Rassen im Kampfe ums Dasein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Darwin
Vom Netzwerk:
zu benagen. Dabei berühren sie unvermeidlich einen langen spitz zulaufenden, sensitiven Fortsatz, den ich Antenne genannt habe. Die Antenne überträgt, wenn sie berührt wird, eine Empfindung oder eine Schwingung auf eine gewisse Mebran, welche augenblicklich zum Bersten gebracht wird, und hierdurch wird eine Feder frei, welche die Pollenmasse wie einen Pfeil in der richtigen Direction vorschnellt und ihr klebriges Ende an den Rücken der Bienen heftet. Die Pollenmasse einer männlichen Pflanze (denn die Geschlechter sind bei diesen Orchideen getrennt) wird nun auf die Blüte einer weiblichen Pflanze übertragen, wo sie mit der Narbe in Berührung gebracht wird. Diese ist hinreichend klebrig, um gewisse elastische Fäden zu zerreißen und die Pollenmasse zurückzuhalten, die nun das Geschäft der Befruchtung besorgt.
    Man kann wohl fragen, wie können wir in den vorstehenden und in unzähligen andern Fällen die allmähliche Stufenreihe von Complexität und die mannigfaltigen Mittel zur Erreichung desselben Zweckes einsehen? Ohne Zweifel ist die Antwort, wie schon bemerkt wurde, dass, wenn zwei bereits in einem geringen Grade von einander abweichende Formen variieren, die Variabilität nicht genau derselben Art und folglich auch die durch natürliche Zuchtwahl zu demselben allgemeinen Ende bewirkten Resultate nicht dieselben sein werden. Wir müssen uns auch daran erinnern, dass jeder hoch entwickelte Organismus bereits eine lange Reihe von Modifikationen durchlaufen hat, und dass jede modifizierte Bildung vererbt zu werden strebt; sie wird daher nicht leicht verloren gehen, sondern immer und immer wieder modifiziert werden. Die Bildung jedes Teils jeder Spezies, welchem Zwecke er auch dient, ist daher die Summe der vielen vererbten Abänderungen, welche diese Art während ihrer successiven Anpassungen an veränderte Lebensweise und Lebensbedingungen durchlaufen hat.
    Obwohl es endlich in vielen Fällen sehr schwer auch nur zu mutmaßen ist, durch welche Übergänge viele Organe zu ihrer jetzigen Beschaffenheit gelangt seien, so bin ich doch in Betracht der sehr geringen Anzahl noch lebender und bekannter Formen im Vergleich mit den untergegangenen und unbekannten sehr darüber erstaunt gewesen, zu finden, wie selten ein Organ vorkommt, von welchem man keine hinleitenden Übergangsstufen kennt. Es ist gewiß richtig, dass neue Organe sehr selten oder nie plötzlich bei einem Wesen erscheinen, als ob sie für irgend einen besonderen Zweck erschaffen worden wären; — wie es auch schon durch die alte, obwohl etwas übertriebene naturgeschichtliche Regel »Natura non facit saltum« anerkannt wird. Wir finden dies in den Schriften fast aller erfahrenen Naturforscher angenommen: Milne Edwards hat es treffend mit den Worten ausgedrückt: Die Natur ist verschwenderisch in Abänderungen, aber geizig in Neuerungen. Warum sollte es nach der Schöpfungstheorie so viel Abänderung und so wenig wirklich Neues geben? woher sollte es kommen, dass alle Teile und Organe so vieler unabhängiger Wesen, wenn jedes derselben für seinen eigenen Platz in der Natur erschaffen wäre, doch durch ganz allmähliche Übergänge mit einander verkettet sind? Warum hätte die Natur nicht einen Sprung von der einen Einrichtung zur andern gemacht? Nach der Theorie der natürlichen Zuchtwahl können wir deutlich einsehen, warum sie dies nicht getan hat; denn die natürliche Zuchtwahl wirkt nur dadurch, dass sie sich kleine allmähliche Abänderungen zu Nutze macht; sie kann nie einen großen und plötzlichen Sprung machen, sondern muss mit kurzen und sicheren, aber langsamen Schritten vorschreiten.
    Organe von anscheinend geringer Wichtigkeit von der natürlichen Zuchtwahl berührt
    Da die natürliche Zuchtwahl mit Leben und Tod arbeitet, indem sie nämlich die passendsten Individuen erhält und die weniger gut passenden unterdrückt, so schien mir manchmal der Ursprung oder die Bildung von Teilen geringer Bedeutung sehr schwer zu begreifen. Diese Schwierigkeit, obwohl von ganz anderer Art, schien mir manchmal beinahe eben so groß zu sein als die hinsichtlich der vollkommensten und zusammengesetztesten Organe.
    Erstens wissen wir viel zu wenig von dem ganzen Haushalte irgend eines organischen Wesens, um sagen zu können, welche geringe Modifikationen für dasselbe wichtig sein können und welche nicht wichtig. In einem früheren Kapitel habe ich Beispiele von sehr geringfügigen Charakteren, wie der Flaum der Früchte und die Farbe ihres

Weitere Kostenlose Bücher