Die Erbin
Geschworenen lautet Nein, mit zwölf Stimmen dafür und ohne Gegenstimme.«
Ramona rang nach Luft und fing an zu weinen. Herschel, der sich in die zweite Reihe zurückgezogen hatte, stand sofort auf und stürmte aus dem Sitzungssaal. Ihre Kinder hatten die Verhandlung schon am Vortag verlassen.
Richter Atlee dankte den Geschworenen und entließ sie. Er vertagte die Verhandlung und verschwand. Die Sieger umarmten einander, die Unterlegenen zogen lange Gesichter. Wade Lanier war ein guter Verlierer und gratulierte Jake zu dessen erfolgreicher Arbeit. Er fand freundliche Worte für Lettie und wünschte ihr alles Gute.
Man sah Lettie nicht an, dass sie kurz davor stand, die reichste Schwarze im Bundesstaat zu werden. Sie wollte nur noch nach Hause. Sie ignorierte ein paar Journalisten und schob einige Gratulanten beiseite. Sie hatte es satt, betatscht und bevormundet zu werden.
Harry Rex organisierte spontan eine Party, Würstchen vom Grill in seinem Garten und Bier aus der Kühltasche. Portia würde kommen, sobald Lettie versorgt war. Willie Traynor war immer für jede Party zu haben. Lucien wollte früh kommen und vielleicht Sallie mitbringen, ein seltenes Ereignis. Noch bevor sie den Sitzungssaal verlassen hatten, fing er an, sich mit diesem Sieg zu brüsten.
Jake hätte ihn am liebsten erwürgt.
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Die Predigt war der jährliche Aufruf zum verantwortungsvollen Umgang mit der Schöpfung, die übliche Ermahnung, groß zügiger zu spenden, die Aufforderung, eine Anstrengung zu unternehmen, um dem Herrn den Zehnten zu geben, und das mit Freude. Jake hatte das hundertmal gehört und fand es wie immer schwierig, länger Blickkontakt zum Reverend zu halten, während er in Gedanken mit viel wichtigeren Dingen beschäftigt war. Er bewunderte den Reverend und gab sich jeden Sonntag redlich Mühe, so auszusehen, als lauschte er gebannt dessen Moralpredigten, aber oft ging es beim besten Willen nicht.
Richter Atlee saß drei Reihen vor ihm, direkt am Gang, auf demselben ehrwürdigen Platz, den er seit zehn Jahren für sich in Anspruch nahm. Jake starrte auf seinen Hinterkopf und dachte an den Prozess und das bevorstehende Revisionsverfahren. Da das Urteil noch so frisch war, steckte der Prozess nun erst einmal fest. Das Verfahren würde ewig dauern. Neunzig Tage hatte die Gerichtsstenografin, um Hunderte von Seiten mit Verhand lungsprotokollen zu transkribieren, mehr als neunzig, weil die Frist nur selten eingehalten wurde. Anträge und Manöver im Anschluss an das Verfahren würden monatelang dauern. Wenn das Schlussprotokoll dann tatsächlich endgültig war, blieben den Unterlegenen neunzig Tage, um Revision einzulegen, falls erforderlich auch mehr. Wenn die Revisionsklage beim Obers ten Gericht und bei Jake einging, hatte er wiederum neunzig Tage für eine Erwiderung. Wenn alle Fristen eingehalten und die Schriftsätze bei Gericht eingereicht waren, begann die tat sächliche Wartezeit. Typischerweise gab es Verspätungen, Ver zögerungen und Vertagungen. Die Anwälte hatten gelernt, nicht zu fragen, wieso es so lange dauerte. Das Gericht tat sein Bestes.
Eine Revision in einer Zivilsache dauerte in Mississippi durch schnittlich zwei Jahre. Bei der Vorbereitung auf den Hubbard-Prozess war Jake auf einen ähnlichen Fall in Georgia gestoßen, der sich dreizehn Jahre lang hingezogen hatte. Er war vor drei verschiedenen Jurys ausgefochten worden, landete wie ein Jo-Jo immer wieder beim Obersten Gerichtshof und wurde schließlich durch einen Vergleich beigelegt, als die meisten Prozessbeteiligten bereits verstorben waren und die Anwälte das gesamte Geld eingestrichen hatten. Die Frage der Anwaltshonorare störte Jake nicht, aber er machte sich Sorgen um Lettie.
Portia hatte ihm erzählt, dass ihre Mutter nicht mehr zur Kirche ging. Es wurde zu oft über den Zehnten gepredigt.
Wenn man der vereinten Weisheit von Harry Rex und Lucien glauben wollte, war Jakes Urteil angreifbar. Die Zulassung von Ancils Video war ein Revisionsgrund. Die überraschende Präsentation des Zeugen Fritz Pickering war nicht ganz so eindeu tig, würde vom Obersten Gerichtshof aber wahrscheinlich eben falls missbilligt werden. Die nachträgliche »Zeugenflut« von Wade Lanier würde vermutlich harsch getadelt werden, war allein aber nicht ausreichend für eine Aufhebung des Urteils. Nick Norton war ebenfalls dieser Meinung. Er hatte sich die Verhandlung am Freitag angesehen und war überrascht, dass das Video gezeigt wurde. Inhaltlich fand er es
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