Die Erbin
was von ihm erwartet wurde. Er wählte den Konflikt. Er wusste, dass sein Ruf beschmutzt werden würde, dass seine Familie seinen Namen verfluchen würde, aber das war ihm egal. Er tat das, was er für richtig hielt.«
Jake trat einen Schritt vor und griff nach dem handschriftli chen Testament. »Und nicht zuletzt bewundere ich Seth Hubbard für seinen Gerechtigkeitssinn. Mit diesem handschriftlichen Tes tament versuchte er, ein Unrecht wiedergutzumachen, das den Rinds vor Jahrzehnten von seinem Vater zugefügt worden war. Es ist an Ihnen, den Geschworenen, Seth dabei zu helfen, die ses Unrecht wiedergutzumachen. Vielen Dank.«
Langsam kehrte Jake zu seinem Platz zurück und warf dabei einen flüchtigen Blick auf die Zuschauer. In der hintersten Reihe saß grinsend und nickend Lucien Wilbanks.
Drei Minuten und zwanzig Sekunden, sagte Harry Rex zu sich selbst, nachdem er die Stoppfunktion seiner Uhr betätigt hatte.
»Mr. Lanier«, sagte Richter Atlee.
Laniers Humpeln war noch ausgeprägter als sonst, als er zum Rednerpult ging. Er und seine Mandanten mussten ohnmächtig zusehen, wie ihnen das Geld erneut durch die Finger rann. Sie hatten es schon in der Tasche gehabt. Heute Morgen um acht Uhr hatten sie es in Gedanken bereits ausgegeben.
Lanier hatte in diesem schwierigen Augenblick wenig zu sagen. Die Geschichte hatte plötzlich und unerwartet ihr Haupt erhoben und ihn vernichtet. Aber er war ein alter Haudegen, und es war nicht das erste Mal, dass er in einer schwierigen Situation steckte.
»Zu den wichtigsten Mitteln, die einem Anwalt im Sitzungssaal zur Verfügung stehen, gehört die Möglichkeit, die Zeugen der Gegenseite im Kreuzverhör zu befragen. Der Anwalt erhält fast immer Gelegenheit dazu, aber manchmal – wie zum Bei spiel jetzt – bleibt sie einem versagt. Das ist höchst frustrierend. Ich fühle mich, als hätte man mir Handschellen angelegt. Ich hätte Ancil Hubbard gern hier, um ihm ein paar Fragen zu stellen. Zum Beispiel würde ich gern sagen: ›Mr. Hubbard, ist es nicht richtig, dass Sie sich augenblicklich in Gewahrsam der Polizei von Juneau befinden?‹ Und: ›Mr. Hubbard, ist es nicht richtig, dass Sie wegen Handels mit Kokain und Flucht aus dem Polizeigewahrsam in Haft sind?‹ Und: ›Mr. Hubbard, ist es nicht richtig, dass Sie von den Behörden in mindestens vier Bundesstaaten wegen Delikten wie Erlangung von Gütern unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, schwerem Diebstahl und Verletzung der Unterhaltspflicht gesucht werden?‹ Und: ›Mr. Hubbard, würden Sie der Jury bitte erklären, warum Sie in den vergangenen zwanzig Jahren keine Steuererklärung abgegeben haben?‹ Und die eine wirklich wichtige Frage: ›Mr. Hub bard, ist es nicht richtig, dass Sie eine Million Dollar erben, wenn Seth Hubbards handschriftliches Testament für gültig erklärt wird?‹
Aber das kann ich nicht, meine Damen und Herren, weil er nicht hier ist. Ich kann Sie nur warnen. Ich kann Sie nur darauf hinweisen, dass vielleicht nicht alles, was Sie von Ancil Hubbard gesehen und gehört haben, so ist, wie es scheint.
Vergessen wir Ancil für einen Augenblick. Gehen Sie als Geschworene bitte einmal zum gestrigen Abend zurück. Erinnern Sie sich, was Sie gestern Abend gedacht haben. Sie hatten über zeugende Zeugenaussagen gehört. Zunächst von Ärzten mit tadellosem Ruf, Experten, die mit Krebspatienten gearbeitet haben und wissen, in welchem Maße starke Schmerzmittel die Fähigkeit, klar zu denken, beeinträchtigen.«
Lanier fasste die Aussagen von Swaney und Niehoff zusammen. Da es sein Schlussplädoyer war, hatte er durchaus Spiel raum, um seine Argumente überzeugend zu gestalten, aber er verzerrte die Dinge so absurd, dass Jake sich gezwungen sah, auf zustehen.
»Einspruch, Euer Ehren«, sagte er. »Meines Erachtens hat Dr. Niehoff das nicht gesagt.«
»Stattgegeben«, verkündete Richter Atlee barsch. »Mr. Lanier, bleiben Sie bitte bei den Tatsachen.«
Pikiert schwadronierte Lanier weiter darüber, was diese ex zellenten Ärzte von sich gegeben hatten. Dabei hatten sie erst am Vortag ausgesagt. Es gab keinen Grund, ihre Aussagen zu wiederholen. Wade Lanier war aus dem Tritt gekommen und hatte den Faden verloren. Zum ersten Mal seit Beginn der Verhandlung wirkte er hilflos.
»Seth Hubbard war nicht testierfähig«, wiederholte er mehrfach, als ihm nichts mehr einfiel.
Er kam auf das Testament von 1987 zu sprechen und hackte zu Jakes großer Freude und dem Entsetzen der Geschworenen
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