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Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludek Pesek
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ich fest, daß ich eigentlich nichts zu seiner Erhaltung unternehme, daß ich zum Denken zu müde bin. Der Verstand funktioniert und urteilt richtig, doch der Wille versagt. Ich versuche, mich immer wieder in meine Arbeit zu vertiefen, dem Druck des Milieus zu entrinnen. Aber, zum Teufel damit, wenn mich jeden Tag von den Testtabellen das anstarrt, dem ich entrinnen will: Morphy hat Magenbeschwerden. Magenneurose. Natürlich weiß ich, wovon. Silcott, Glennon und Jenkins leiden an Schlaflosigkeit. Ich weiß, warum. Während der Ausbildung hat Glennon geschnarcht wie ein Holzfäller. Manchmal bedaure ich sogar, daß ich nicht ein anderes wissenschaftliches Fach gewählt habe: Astronomie, Mathematik, Kosmologie. Jetzt wäre ich vom wahren Milieu umgeben, wie ein Fisch im Wasser. Dann aber überlege ich wieder, daß diese unbekannten Welten, nach denen ich forsche, mich doch auch umgeben, und zwar in den Menschen, mit denen ich lebe, und in mir. Sie steigen aus den unbekannten Tiefen des seelischen Kosmos empor. Dann bin ich wieder einigermaßen zufrieden.
    Das Bestreben, der zermürbenden Eintönigkeit der Tage zu entfliehen, zeigt sich bei allen Expeditionsmitgliedern. Manchmal hat es sonderbare Formen. Einmal, als ich schon schlafe, weckt mich Radcliff und fordert mich auf, mit ihm zu McKinley zu gehen; etwas sei bei ihm nicht in Ordnung. Radcliff erzählt etwas von einem Scherz. Ich verstehe kein Wort. Als ich McKinleys Schlafkabine betrete, befindet sich dort noch Thompson und beruhigt McKinley, dem die Tränen andauernd aus den Augen kollern. Ich erfahre, daß Radcliff und Thompson sich einen Scherz ausgedacht haben, der unerwartete Folgen hat. Die in der Mitte des Schiffsrumpfes untergebrachten Schlafkabinen haben begreiflicherweise keine Sehschlitze. Als Orientierungslicht in der Kabine dient eine schwache bläuliche Glühlampe. Radcliff und Thompson kamen noch vor dem Schlafengehen auf einen Tratsch zu McKinley und löschten - wie verabredet - unbeobachtet das blaue Orientierungslicht aus, so daß es in der Kabine völlig finster war. Sie unterhielten sich ruhig weiter, und auf die Frage McKinleys, was mit dem Licht los sei, reagierten sie nicht. Sie gaben vor, daß das Licht normal brenne. Das ist ein drastischer und alter Witz, der ganz unerwartet endete. McKinley erschrak, glaubte, erblindet zu sein, und bekam einen hysterischen Weinkrampf. Der abgebrühte Possenreißer McKinley! Ich muß ihm ein starkes Beruhigungsmittel geben.
    Der Vorfall überzeugt mich von neuem, daß die menschliche Aufnahmefähigkeit und Reaktion andere, »kosmische« Ausmaße erlangt.
    In den folgenden Tagen mache ich in Privatgesprächen die Expeditionsmitglieder auf die Gefahr von Späßen solchen Kalibers aufmerksam. Gleichzeitig ersuche ich sie, keine spöttischen Spitznamen zu gebrauchen. Doch bin ich mir nicht sicher, ob alle den Ernst dieses Problems begreifen.Zur Hebung des gesunkenen Optimismus der Besatzung beschlossen der Kapitän und O'Brien, täglich Beratungen über die Pläne der wissenschaftlichen Erforschung der Marsoberfläche abzuhalten. Das war im Grunde eine Wiederholung bekannter Dinge; denn diese Pläne waren bereits auf der Erde gründlich durchgearbeitet worden. Trotzdem brachte die andere Sicht im neuen Milieu eine Belebung in den erschlafften Organismus der Expedition. Die Vorstellung, daß sich unaufhaltsam der Augenblick näherte, in dem sich die Pläne in Wirklichkeit verwandeln würden, erweckte in uns Lust zu neuer Betätigung. Ich beobachtete, daß die allgemeine Stimmung der Besatzung in Zyklen verlief, wie der Tagundnachtwechsel oder wie Winter und Sommer. Mich quälte die Affäre mit dem Haupttechniker. Ich kannte ihn als einen energischen, intelligenten Menschen, dem das eigene Fachgebiet den allgemeinen Horizont nicht verdeckte. Er verstand etwas von Musik und Malerei - was bei technisch veranlagten Menschen nicht immer der Fall ist. Seine seelische Verfassung machte mir Sorgen. Er zeigte für nichts Interesse. Er führte genau das aus, was ihm befohlen wurde. Sein persönlicher Stolz hinderte ihn daran, etwas zu seiner Verteidigung zu unternehmen. Er hatte einen Fehler begangen und war bereit, dafür zu zahlen. Ich war jedoch überzeugt, daß der Preis zu hoch war.Wir beschlossen mit O'Brien, dessen Meinung ich gut kannte, den Fall des Haupttechnikers dem Kapitän von einer anderen Seite zu beleuchten. Unsere Verhandlung fiel wie folgt aus: Der Kapitän lud uns in seine Kabine ein. Kaum hatte

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