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Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludek Pesek
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Situation überhaupt nicht erfaßt hatte. Er sagte: »Die Organisierung einer lebenden Masse unterliegt Grenzen, die sie selbst nicht überblicken kann. Diese Gesetze entziehen sich unserem Willen und unserer Macht. Die exakte Wissenschaft sagt das nur zeitweilig, die Philosophie ist sich dessen nicht ganz sicher.« Ich konnte mich nicht mehr beherrschen. »Zum Teufel, O'Brien, mit solchen Betrachtungen, die mir wie eine Sonntagspredigt vorkommen! Uns brennt doch der Boden unter den Füßen!«
    O'Brien sah mich erstaunt an: »Was ist mit Ihnen los, Doktor, ich erkenne Sie nicht. Sie waren doch ein so ausgeglichener
    Mensch. So vernünftig. Begreifen Sie denn nicht, daß Sie mich mit alldem in Ruhe lassen sollen? Rebellion ist nicht mein Fach. Dazu sind Soldaten da.«
    Verbittert ging ich fort. Zum erstenmal war ich von O'Brien enttäuscht. Mir schien, als hätte ich in seinem Charakter eine schwache Stelle entdeckt. Erst später, viel später, unter viel schwerwiegenderen Umständen kam mir die Tiefe seiner Gedanken und der Sinn seiner Handlungsweise zum Bewußtsein.
    Die Epidemie griff wirklich mit rasender Geschwindigkeit um sich. In wenigen Stunden waren alle angesteckt. Als ich zum Kapitän in die Führerkabine kam, versuchte ich ihm anzudeuten, daß ich nicht in Anwesenheit des Radiotechniken Jenkins, der in der Zentrale Dienst hatte, sprechen möchte. »Sprechen Sie nur, Doktor, Jenkins weiß auch, daß wir falsch fliegen, daß wir nie den Mars erreichen, nicht wahr, Jenkins?«
    Jenkins lächelte gezwungen und sagte: »Ich weiß nur, daß man davon spricht, Kapitän.«
    Ich schwieg. Der Kapitän blickte mich scharf an und sagte: »Was halten Sie jetzt von meiner Entscheidung? Ein psychologischer Fehler? - Ich habe darüber eine andere Meinung: die sauren Früchte eines Kompromisses!«
    6
    In diesem verzweifelt langsamen Zeitablauf näherte sich der zweihundertste Tag unserer Fahrt. Die Expeditionsmitglieder begannen häufiger, das Observatorium aufzusuchen. Der Mars wurde im Teleskop immer klarer und deutlicher. Doch für das freie Auge blieb er immer noch ein rötlich leuchtender Punkt auf schwarzem Samt.
    Ich muß gestehen, daß mein Vertrauen zur Allmächtigkeit der
    Pharmazeutika nie besonders groß war. Was der Mensch nicht durch eigenes Hinzutun und was der Körper nicht selbst vermag, das schafft die Chemie nur sehr schwer. Nach fast zweihundert Tagen Fahrt blieb vom Vertrauen in die weißen, rosigen und bläulichen Pillen nur ganz wenig übrig. Körperlich waren wir nicht gar so schlecht dran, bis auf Gewichtsabnahme, geringe Veränderungen im Blutbild und zeitweise Störungen in den Gleichgewichtsorganen. Der langdauernde Zustand der Schwerelosigkeit war verhältnismäßig gut kompensiert. Aber psychisch - und dafür fühlte ich mich verantwortlich - waren wir alle betroffen. Der Gesundheitszustand der beiden Mechaniker, die bei dem unglückseligen Unfall mit dem dritten Lastschiff einen Druckschock erlitten hatten, war im allgemeinen gut. Nur Radcliff klagte oft über Kopfschmerzen und Schwindelanfälle.
    Mein erster wirklich ernster Fall wurde - Ironie des Schicksals - mein Kollege Doktor Watts. Er hatte sich aus Unvorsichtigkeit bei den Blutproben mit der Nadel gestochen. Obwohl die antiseptischen Maßnahmen streng eingehalten wurden, begann sich die unbedeutende Wunde nach wenigen Stunden zu entzünden, und obwohl Dr. Watts die betroffene Stelle sofort aufschnitt und gründlich behandelte, bekam er hohes Fieber. Die Hand schwoll bis zum Ellbogen unförmig an, ebenso die Lymphgefäße in der Achselhöhle und am Hals. Ich tat, was ich konnte, doch die Amputation der Hand war kaum zu vermeiden. Watts, der aus dem schweren Fieber wieder zu sich gekommen war, stöhnte, als könnte er meine Gedanken lesen: »Warte noch eine Stunde - und dann schneide. Ich will heil davonkommen.« Dann fiel er wieder in seinen Fieberwahn. Der Schweiß trat mir aus den Poren, und eine schreckliche Beklommenheit beengte meine Brust. Aufrichtig gesagt, Watts hatte geringe Chancen. Vielleicht degenerierte der Organismus im sterilen Milieu des kosmischen Fahrzeugs und verlor die Widerstandskraft?
    Nach einer Stunde besserte sich jedoch sein Zustand. Eine Säuberung der neugeöffneten Wunde brachte dem Patienten Erleichterung. Auch Injektionen halfen. Der kritische Punkt war überwunden. Doch sechs weitere Tage war Doktor Watts so schwach, daß er künstlich ernährt werden mußte. Obwohl er später ganz gesundete, blieb er

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