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Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludek Pesek
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beschuldigte ihn der Fahrlässigkeit bei der Durchführung der Rettungsaktion und der Gefährdung des Lebens aller Expeditionsmitglieder. Nach Ansicht des Kapitäns hätte Glennon wissen müssen, daß die unrichtige Anwendung des zweiten Motor-Zuggrades katastrophale Folgen haben würde. Der Kapitän ließ nicht einen einzigen Satz der Verteidigung zu. Wie mir Jenkins berichtete, war er so wütend, daß er O'Brien, der während der Aktion ebenfalls in der Führerzentrale war und etwas von einem unvermeidbaren Risiko unter außergewöhnlichen Umständen sagte, aus der Kabine wies. Diesen Zwischenfall sah ich in den düstersten Farben. O'Brien hatte einen schweren Fehler begangen, indem er den Kapitän in diesem Augenblick an die Begebenheit mit dem »Mann über Bord« erinnerte. Und der Kapitän reagierte darauf noch fehlerhafter; er verletzte die menschliche Würde O'Briens. Ich hatte das Gefühl, daß sich die Situation der Expedition zu komplizieren begann. Mit heimlicher Sorge erwarteten wir die Berechnungen der Erdzentrale; es war klar, daß der Unfall bei der unvollständigen Korrektur der Flugbahn eine weitere Abweichung zur Folge haben mußte. Wie groß würde diese Abweichung sein? Welche Möglichkeit einer weiteren Korrektur hatten wir? Wie weit konnte man sich bei der Entfernung von Millionen Kilometern auf die Genauigkeit der Bewegung verlassen, die uns nach einer bestimmten Anzahl von Tagen die Bahn des Planeten Mars kreuzen lassen sollte? Endlich meldete sich die Erdzentrale! Das Rechenzentrum spie eine Reihe von Zahlen aus. Die Korrektionsmotoren setzten ein. In den Lucken verschoben sich wieder die Sterne, und die Schatten auf der Oberfläche der Schiffe nahmen neue Winkel ein. Es blieb nichts anderes übrig, als zu glauben, daß alles in Ordnung sei.
    Als an diesem Tag im Drahtfunk die übliche Meldung verstummte, kündigte Jenkins eine Sondermeldung für die ganze Besatzung an. Dann meldete sich die Stimme des Kapitäns. Kurz und bündig sagte er den Mitgliedern der Expedition, daß er sich persönlich bei seinem Stellvertreter wegen der groben Unbesonnenheit entschuldige. Er drückte die Hoffnung aus, daß dieser bedauernswerte Vorfall in kritischen Augenblicken keinen Einfluß auf die Freundschaft, den gegenseitigen Respekt, auf das Verständnis und die Aufrichtigkeit im Zusammenleben der Expeditionsmitglieder haben werde. Gleichzeitig bestätigte der Kapitän uns, daß die den Haupttechniker Glennon betreffende Entscheidung unverändert bleibe. Obwohl diese Erklärung im üblichen Ton ausgesprochen wurde, erschreckte sie mich. Ich konnte mir nämlich vorstellen, mit welcher Überwindung der Kapitän diese Worte gesprochen hatte. Jetzt kam sehr viel darauf an, wie O'Brien darauf reagieren würde.
    Nach einigen Tagen hatte sich diese Angelegenheit offensichtlich geklärt. Ich sah O'Brien wie früher im Gespräch mit dem Kapitän, so wie einst in den glücklichen Tagen der kosmonautischen Ausbildung. Ich sagte mir, daß vielleicht in den Köpfen der Psychologen allerhand Komplexe herumspuken, gleichsam als Berufskrankheit, und versuchte, mich zu beruhigen. Es ließ mir aber doch keine Ruhe, tiefer in diese Angelegenheit einzudringen. Bei nächster Gelegenheit, als ich mit O'Brien allein war, fragte ich ihn: »Seien Sie mir nicht böse, daß ich darauf zurückkomme, es ist nur wissenschaftliches Interesse - doch gerne würde ich wissen, ob zwischen Ihnen und dem Kapitän alles klar ist.«
    O'Brien sah mich mit seinem abwesenden Lächeln an. »Wissen Sie, Cosby«, sagte er, »ich beurteile die Meinungen der andern mit meinem Maßstab. Und deshalb glaube ich jetzt nicht, daß die den Haupttechniker betreffende Entscheidung richtig ist. Das ist allerdings meine völlig persönliche Meinung, die überhaupt nichts mit der Autorität des Kapitäns zu tun hat.«
    »Sie haben mich schlecht verstanden, O'Brien«, entgegnete ich. »Ich habe nicht die Suspendierung des Haupttechnikers gemeint.«
    »Ach so«, lachte er, »Sie denken an die Affäre, bei der meine Würde eins mit dem Stock bekam. Nun, bekanntlich steckt in uns noch viel vom Urmenschen. Es genügt schon ein bißchen höherer Druck im Blut des Gehirns, und gleich meldet sich das Bestreben, den besten Platz an der Feuerstelle einzunehmen. In jedem von uns. Aber das wissen Sie doch aus Ihrer Praxis besser als ich. Um Sie zu beruhigen, versichere ich Ihnen, daß ich weiß, worum es geht. Als Biologe kenne ich die Bedeutung des Lebensmilieus. Ich bin

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