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Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludek Pesek
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überzeugt, daß jeder von uns mit seinem Tropfen Blut zum Gelingen der Expedition beitragen muß.«
    Der einzige Mann, der überhaupt keine psychischen Probleme hatte, war der Astrophysiker Wellgarth. Wenn er nicht gerade in seiner Kabine schlief, saß er im Observatorium, trug Spektralanalysen ein, rechnete mit Tabellen und schrieb und schrieb. Er war seinem Fachgebiet so ergeben, daß ihm für andere Dinge einfach keine Gedanken blieben. Die Waschpaste mit der Kondensmilchtube zu verwechseln, war für ihn eine Spielerei. Mängel an der Ausrüstung waren sehr häufige Erscheinungen, die den Ordnungssinn des Kapitäns maßlos empörten.
    Dieser Unzulänglichkeiten wegen wurde Wellgarth scharf gerügt. Was jetzt noch komisch wirkte, konnte unter bestimmten Umständen lebensgefährlich werden. Die Räume der Schlafkabinen, die Verbindungstunnels und der Klubraum ermöglichten - wie bereits erwähnt - den Aufenthalt ohne Raumanzug nur in der leichten, anliegenden Kombination. Eines Abends kam Wellgarth zum Abendbrot, und aus dem hinteren Hygieneschlitz hing ein Stück schweißsaugende Wollwäsche heraus. Wellgarth schwamm majestätisch in den Speiseraum, mit seinem unerläßlichen Notizbuch in der Hand, während hinten ein sonderbarer, weißer Schweif wehte. Wie später McKinley bemerkte, sah er aus wie ein Cherub mit den Flügeln an der falschen Seite. Diese Zerstreutheit war schwer verständlich, weil sie während der Ausbildung bei ihm nicht beobachtet worden war. Je länger unser Zusammenleben in den gedrängten Räumen dauerte, je mehr uns die Abgeschiedenheit von allem, was wir auf der Erde getan hatten, bedrückte, um so klarer begannen sich die individuellen Merkmale im Charakter der einzelnen zu unterscheiden und hervorzutreten. Das war oft sehr überraschend. Und manchmal deprimierend. Als wären wirklich in den geheimen Windungen der Gehirne Reste der urmenschlichen Eigenschaften verborgen, Eigenschaften aus der Zeit, als jeder an der Feuerstelle seinen Markknochen abnagte und mit unwillkürlicher Bewegung seine eigene Kehle schützte. Es waren zwar nur Blitze, Reflexe, die sofort mit den Zügeln moralischer Hemmungen beherrscht wurden, doch ein geübtes Auge erkannte sie ganz deutlich. Oft bedrückten mich solche Gedanken so sehr, daß ich nicht einschlafen konnte. Dann fiel mir wieder ein: Wenn diese Fahrt in den Weltraum zu nichts anderem dienen sollte als zur Befriedigung einiger Ingenieursträume auf dem Planeten Erde, dann war sie sinnlos. Was kümmert einen gewöhnlichen Menschen der Mars? Solange die Menscheit lebt, ist er ein unbedeutender Funke am nächtlichen Firmament. Was kümmern den Menschen heroische Eroberungen unbewohnter, öder Planeten, wenn er überlegen muß, wie er die wenigen Quadratmeter seiner Wohnung bezahlen und sich selbst und seine Kinder ernähren soll?
    Wenn unsere Fahrt einen Sinn haben sollte, dann mußten wir ihn im Kampf suchen, den wir jetzt in den Tiefen des eigenen, inneren Kosmos ausfochten. Dort lag die Grenze, die wir verschieben mußten.
    5
    In den ersten Tagen unserer Fahrt haben wir uns oft den feierlichen Tag vorgestellt, an dem wir die Hälfte unseres interplanetaren Flugs hinter uns haben würden. Dieser Tag taucht endlich aus der eintönigen Reihe empor: Im Datumfensterchen der Borduhr freilich nur als einfache Zahl, die keinerlei Festgefühl auslöst. Sie erinnert eher daran, welch erdrückende Reihe von Zahlen noch in der Borduhr verborgen ist.
    Der Abend im Klub verläuft eher in gereizter als in feierlicher Stimmung. Der Kapitän hält eine kurze Rede, die mehr einem Bericht als einer Aufforderung zu geselligem Beisammensein ähnelt. Beim Trinkspruch klirren keine Gläser: Mit Röhrchen schlürfen wir die Obstsäfte aus Plastiksäckchen - und keiner hat Lust, sich zu unterhalten. Nur Gray streitet sich hartnäckig mit Briggs über die Vorteile elektrischer Automobile. Wir sind einander zuwider, können uns kaum noch gegenseitig ertragen.
    Das ist allerdings gar nichts Neues, das sind nur wohlbekannte Anzeichen aus dem Milieu der Antarktisexpeditionen, und doch macht mich die Erkenntnis stutzig, daß keines dieser negativen Merkmale sich bei der langen und schweren Ausbildung gezeigt hat. Am größten ist meine Angst vor den kommenden Tagen. Das ist keine Angst vor einer Katastrophe, verschuldet durch Versagen der Technik, sondern die Angst vor dem allmählichen Zerfall der Moral. Es tut mir leid um das herrliche Gefühl der Freundschaft, und doch stelle

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