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Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludek Pesek
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stärker muß auch die Abwehr sein - und um so stärker der Wille. Ich beobachte bei allen Expeditionsmitgliedern einen gewissen Mangel an Willen. Das äußert sich in Unentschlossenheit. Ich glaube, daß auch der energische Kapitän diesem zersetzenden Druck seiner Umwelt nicht entgeht. Er reagiert allerdings auf seine Art so, als würde er sich wegen bestimmter Anzeichen seiner Schwäche schämen; er beginnt sich vom Geist kameradschaftlicher Freundschaft zu entfernen, von dem er übrigens nie ein Übermaß besaß. Er hört auf, in den Klub zu kommen.
    Der Kapitän kommt zum Testen, das jetzt nur einmal wöchentlich vorgenommen wird, wie immer genau auf die Minute. »Wie sieht's aus?« fragt er nach Beendigung des Tests. Obwohl er die Notwendigkeit und die Bedeutung des Tests anerkennt, hat er noch nie Interesse für das Ergebnis gezeigt, das ihn betrifft.
    Ich antworte ihm: »Ich würde sagen, angemessen.« Er sieht mich eine Weile an. Mir scheint, daß er zögert, fortzufahren. Aber dann sagt er doch: »Das bedeutet, nicht allzu gut? Verstehen Sie mich, ich hab' keine Angst um mich .. .« Ich unterbreche ihn: »Ich verstehe Sie nicht recht, Kapitän.« Da ich weiß, daß ihn nichts mehr beruhigt als Genauigkeit, hole ich die Vergleichstabellen hervor und zeige ihm die nach langfristigen Forschungen auf der Erde ausgearbeiteten Ergebnisse.
    Weil der Kapitän auf diesem Gebiet keine Fachkenntnisse besitzt, ist es nicht schwer, ihn zu überzeugen, daß der Stand nur wenig von der vorausgesetzten Norm abweicht. Ich glaube an die Berechtigung einer solchen Notlüge. Der Kapitän bemerkt: »Ich spüre manchmal, daß mein Hirn nicht verläßlich arbeitet. Ich habe nur so für mich meine eigenen mathematischen Teste geprüft. Von drei Testen war einer fehlerhaft. Das ist schlecht.«
    »Ein fehlerhafter, das ist angemessen. Drei fehlerhafte wäre schlecht«, antworte ich.
    »Doktor Cosby, ich weiß, daß Sie bemüht sind, mich irgendwie zu beruhigen. Aber ich habe diese Art von Hilfe nicht gern. Sie kommt mir wie ein Almosen vor.« Ich entschließe mich, diesen Augenblick zu einem direkten Angriff auszunützen, auch mit dem Risiko, daß ich alles verderbe.
    »Gut, ich werde aufrichtig sein. Einmal haben Sie sich geirrt - und das ist schlecht. Der Haupttechniker hat sich auch einmal geirrt. Das ist auch schlecht.«
    »Genau das wollte ich sagen«, entgegnet der Kapitän einfach. Ein Gefühl unendlicher Erleichterung erfüllt mich. »Kapitän, diesen Satz schätze ich mehr als alle blödsinnigen Teste, die sich irgendeine Schreiberseele in der Zentrale ausgedacht hat. Sie sind völlig in Ordnung. Ihre Gedanken funktionieren brillant.«
    Noch am selben Tag meldet der Drahtfunk, daß Glennon wieder die Funktion des Haupttechnikers der Expedition übertragen wurde. In der Begründung erwähnt der Kapitän, daß Glennon unter dem Druck außerordentlicher Umstände gehandelt habe. Außerdem könne bei den Erwägungen über die Ursache des Unfalls die Möglichkeit verborgener Materialfehler nicht ausgeschlossen werden. Und doch waren die Folgen der Entscheidung des Kapitäns ganz anders, als ich sie mir vorgestellt hatte. Der Haupttechniker Glennon war zwar im wahrsten Sinne des Wortes von den Toten auferstanden; ich erfuhr aber, daß man unter den Expeditionsmitgliedern über die Gründe der Entscheidung des Kapitäns zu sprechen begann. Es waren keine Verleumdungen. Man diskutierte vielmehr über die Beziehung zwischen dem Kapitän Norton und O'Brien. Weil jeder wußte, daß der Kapitän für Kompromisse nicht zugänglich war, entstanden Gerüchte, daß O'Brien den Kapitän auf irgendeine geheimnisvolle Weise zu diesem Kompromiß gezwungen habe.
    Es gibt nichts Verheerenderes für eine Gemeinschaft als Geheimnistuerei. Nach einigen Tagen erzählte mir Watts, was ihm Morphy anvertraut habe. Unter den Mitgliedern der Expedition verbreite sich das Gerücht, O'Brien wisse angeblich etwas, was vor der Besatzung verheimlicht werden müsse. Wahrscheinlich betreffe es die Flugbahn und ihre Korrekturen. Ich war entsetzt. Wir berieten gemeinsam mit Watts, welche Vorkehrungen wir gegen diese »Epidemie« treffen sollten. Die Zeit arbeitete gegen uns. Diese schreckliche Krankheit der Kleingläubigkeit hatte wie Aussatz den Organismus der Expedition befallen. Wir beschlossen, ehe wir zum Kapitän gingen, uns mit O'Brien zu beraten. Ich ging allein zu ihm. Er schien nicht sehr überrascht zu sein. Ich hatte das Gefühl, daß er den Ernst der

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